Im Rahmen der Hauptveranstaltung des Asteroid Day in Luxemburg hatte Raumfahrer.net am 29. Juni 2024 die Gelegenheit ein Interview mit den Raumfahrern Julie Payette und Mark Polansky zu führen.
Ein Beitrag von Kirsten Müller und Ingo Muntenaar.
Julie Payette wurde am 20. Oktober 1963 in Montreal, Quebec geboren und ist kanadische Staatsbürgerin. Sie studierte an der McGill University in Montreal und erhielt dort 1986 einen Bachelor of Engineering mit Auszeichnung und 1990 einen Master of Applied Science in Technischer Informatik.
Sie bewarb sich bei der kanadischen Raumfahrtagentur als Astronautin und wurde am 9. Juni 1992 zusammen mit Chris Hadfield, Michael McKay und Dafydd Williams ausgewählt.
In Vorbereitung ihrer Astronautenausbildung erwarb sie ihre Berufspilotenlizenz und danach ihre Musterberechtigung zum Fliegen des Militärjet CT-114 Tutor, sowie die militärische Instrumentenflugberechtigung.
Ab August 1996 begann sie im Johnson Space Center in Houston ihre Ausbildung zur Missionsspezialistin, die sie im April 1998 abschloss.
Als achter kanadischer Staatsbürger absolvierte sie als Missionsspezialistin ihren ersten Raumflug vom 27. Mai bis 6. Juni 1996 an Bord der Raumfähre Discovery im Rahmen der Mission STS-96.
STS-96 war eine Logistik- und Versorgungsmission zur Internationalen Raumstation. Diese Mission mit der Designation ISS-02-2A.1 brachte sowohl logistische Ausrüstung als auch den Integrated Cargo Carrier (ICC) mit dem russischen Frachtkran STRELA zur ISS, welcher an der Außenseite des russischen Stationssegments montiert wurde. Auch wurden ca. 2 Tonnen Versorgungsgüter zur Raumstation transferiert. Zum Zeitpunkt des Fluges STS-96 bestand die Internationale Raumstation aus den Modulen Unity und dem Servicemodul Zarya und diese Mission diente u.a. der Vorbereitung des Einzugs der dreiköpfigen Besatzung Expedition 1.
Ihre zweite Mission an Bord der Raumfähre Endeavour absolvierte Julie Payette im Rahmen der Mission STS-127. Sie war ebenfalls als Missionsspezialistin eingesetzt und flog vom 15. – 31. Juli 2009. Hauptziel von STS-127 (ISS-2J/A JEM EF, JEM ELM-ES) war die Lieferung und Installation des dritten und letzten Teils der Japanese Exposed Facility (JEM EF) an Kibo und des Kibo Japanese Experiment Logistics Module – Exposed Section (JEM ELM-ES).
Insgesamt absolvierte Julie Payette zwei Raumflüge als Missionsspezialistin mit einer Fluggesamtdauer von 25 Tagen und 12 Stunden.
Julie Payette verließ die kanadische Raumfahrtagentur im Mai 2013.
Nach ihrer Astronautenkarriere war Julie Payette in verschiedensten Aufsichtsräten und Beiräten tätig. Vom 2. Oktober 2017 bis zum 21. Januar 2021 diente Julie Payette als Generalgouverneurin von Kanada und hielt formaltheoretisch die Stellung des Oberbefehlshabers der Kanadischen Streitkräfte im Namen des Königs von Kanada.
STS-127 war ebenfalls der letzte Raumflug von Mark Polansky.
Mark Polansky wurde am 2. Juni 1956 im Bundesstaat New Jersey geboren. 1978 machte Polansky seine Bachelor- und Masterabschlüsse in Luft- und Raumfahrttechnik an der Purdue University.
Im Januar 1980 erwarb er auf der Vance Air Force Base (AFB), Oklahoma, die Pilotenlizenz. Danach war Polansky von 1980 bis 1983 der Langley AFB, Virginia, zugeteilt, wo er die F-15 flog. 1983 wechselte Polansky zur F-5E und diente als Aggressor-Pilot, wo er taktische Flugzeugbesatzungen zur Bekämpfung feindlicher Flugzeugtaktiken ausbildete.
1986 absolvierte er die USAF Test Pilot School auf der Edwards AFB in Kalifornien. Nach seiner erfolgreichen Ausbildung zum Testpiloten wurde er der Eglin AFB in Florida zugewiesen, wo er Waffen- und Systemtests an den Flugzeugen F-15, F-15E und A-10 durchführte. 1992 verließ Polansky den aktiven Militärdienst, um eine Karriere bei der NASA einzuschlagen.
Im gleichen Jahr wurde er von der NASA als Raumfahrtingenieur und Forschungspilot unter Vertrag genommen. Dort war er der Abteilung Flugzeugbetrieb im Johnson Space Center in Texas zugeteilt. Eine seiner Aufgaben war die Unterrichtung von Landetechniken der Astronautenpiloten auf dem Shuttle Training Aircraft sowie die Unterrichtung von Astronautenpiloten und Missionsspezialisten auf dem Trainingsflugzeug T-38.
Im April 1996 wurde Polansky als Astronautenanwärter der NASA ausgewählt und begann im August 1996 mit seiner Astronautenausbildung.
Nach dem Abschluss seiner Ausbildung durchlief Mark Polansky weitere Stationen im Unterstützungsteam am Kennedy Space Center bei Space Shuttle-Starts und -Landungen, Leiter der CAPCOM-Abteilung (April 2002 bis Dezember 2002), leitender Astronautenausbilder (April 2003 bis Januar 2004) und Leiter der Abteilungen Return to Flight und Orbiter Repair. Polansky war außerdem Betriebsdirektor des NASA Verbindungsbüros im Gagarin Cosmonaut Training Center in Star City, Russland.
Seinen ersten Raumflug absolvierte Polansky als Pilot auf der Mission STS-98 des Space Shuttle Atlantis vom 7. bis 20. Februar 2001. Hauptziel des Fluges mit der Designation ISS-06-5A war der Transport und die Installation vom U.S. Labor „Destiny“ an die Internationale Raumstation.
Den ersten Flug als Kommandant absolvierte Mark Polansky dann auf der Mission STS-116. Das Space Shuttle Discovery flog mit der Designation ISS-20-12A.1 vom 10. bis 22. Dezember 2006 zur ISS. Hauptaufgabe dieser Mission war der Transport und die Installation des ITS P5, eines Teils der integrierten Gitterstruktur.
Auf der Mission STS-127 war Mark Polansky erneut der Kommandant der Mission. Eines seiner Besatzungsmitglieder war Julie Payette.
Insgesamt hat Mark Polansky bei seinen drei Raumflügen 41 Tage und fast 11 Stunden im Weltraum verbracht. Am 30.06.2012 ist er aus dem Astronautenkader der NASA ausgeschieden.
Raumfahrer.net (RN): STS-127 war Ihr letzter Raumflug. Wussten Sie zu diesem Zeitpunkt bereits, dass dies Ihr letzter Raumflug sein würde und dass Sie möglicherweise nicht zur Raumstation zurückkehren würden?
Mark Polansky (M.P.): Ich hatte bereits lange vor dem Start von STS-127 beschlossen, dass dieses mein letzter Raumflug sein würde.
Julie Payette (J.P.): Ich wusste es auch so gut wie sicher. Für kanadische Staatsbürger gab es nur sehr wenige Fluggelegenheiten. Nach meiner Berufung zu STS-127 gab es noch drei weitere kanadische Raumflugkandidaten, die noch nicht geflogen waren und es war an der Zeit, dass diese auch ihren ersten Raumflug bekommen würden. Wir haben jetzt einen kanadischen Raumfluganwärter, der nächstes Jahr mit Artemis-II fliegen wird. Er wartet bereits seit 15 Jahren auf seinen ersten Raumflug.
RN: Sie sprechen da gerade Jeremy Hansen an.
J.P.: Daran können Sie erkennen, dass es wichtig ist, andere Kandidaten in die Pflicht zu nehmen. Ich hatte andere Optionen für meinen weiteren Werdegang und bin nach Kanada zurückgekehrt.
RN: Kommen wir mal auf den Beginn ihrer akademischen Ausbildung zurück, oder vielleicht sogar Ihre Kindergartenzeit. Wann haben Sie für sich beschlossen eine Astronautenkarriere einzuschlagen?
M.P.: Ich bin in den 1960er Jahren aufgewachsen. Ich habe mich in der Zeit sehr stark mit den Anfängen der bemannten Raumfahrt und dem Wettrennen zum Mond zwischen den USA und der Sowjetunion befasst. Als ich 13 Jahre alt war, sind wir auf dem Mond gelandet. Als Kind hatte ich immer schon den Wunsch verspürt Astronaut zu werden. Allerdings wollen viele Kinder Astronaut, Doktor, Profisportler, …
J.P.: …Rockstars…
M.P.: … werden. Als ich schliesslich auf die Universität ging, wurde es ernster mit dem Berufswunsch. In meinem ersten Jahr auf der Universität habe ich Gene Cernan, den letzten Menschen, der den Mond betreten hat, getroffen. Das Treffen fand in einem recht intimen Rahmen statt. Und dieses Treffen hat mich zum Nachdenken gebracht. Dieses Treffen hat mich dann in die Position gebracht, um die richtigen Schritte in Richtung Astronautenkarriere einzuschlagen.
RN: Für einen kanadischen Staatsbürger war es dann wohl noch einiges schwerer. Als Sie Frau Payette ihren Universitätsabschluss erlangten, gab es nur einen kanadischen Astronauten. Marc Garneau flog vom 5. bis 13. Oktober 1984 in den Weltraum. Und es gab auch nicht viele kanadische Staatsbürger, in deren Fußstapfen Sie treten konnten. Roberta Bondar flog erst 1992.
J.P.: Aber es ist eine Anmaßung, dass man sich von einer Person inspirieren lässt, die aus demselben Land kommt, so aussieht wie man selbst oder demselben Geschlecht angehört. Es gibt tatsächlich weltweit Menschen, die sich von den Apollo-Missionen inspirieren ließen, die zum Mond flogen.
Ich wurde Anfang der 1960er Jahre geboren und ich habe die Apollo-Missionen gesehen. Bei der ersten Mondlandung muss ich wohl geschlafen haben. Das sagte mir meine Mutter. Ich war einfach zu klein. Apollo 16 und Apollo 17 habe ich dann in der Schule mitverfolgt. Und es spielte keine Rolle, dass sie nicht wie ich waren oder nicht aus demselben Land kamen. Sie sprachen nicht einmal die gleiche Sprache, die ich verstand. Als ich zehn war, habe ich nicht wirklich Englisch gesprochen.
Aber es war sehr inspirierend, und ich wollte Astronaut werden, weil ich gesehen habe, wie die Apollo-Astronauten auf dem Mond gelandet sind und dann auf dem Mond spazieren gingen und den Lunar Rover fuhren.
Später, als Marc Garneau in den Weltraum flog, war ich schon an der Universität und hatte schon einige Entscheidungen getroffen, denn das ist es, was wir den jungen Leuten raten: Lege gute Eier in deinen Korb. Wenn Sie Rennfahrer werden wollen, müssen Sie vielleicht etwas anderes tun, als wenn Sie Arzt oder Feuerwehrmann oder etwas anderes werden wollen.
Ich wurde Ingenieur, weil ich Astronaut werden wollte. Auch wenn es so etwas wie kanadische Astronauten nicht gab.
Aber dann ist es passiert.
RN: Das heißt Sie wollten auch keine Langzeitmission auf der Internationalen Raumstation absolvieren?
J.P.: Doch, doch. Aber wie ich gerade bereits erwähnt hatte, hat Kanada nur sehr wenig Flugmöglichkeiten. Zum Zeitpunkt als ich meine zweite Mission flog, haben 3 weitere kanadische Astronauten auf ihren ersten Flug gewartet. Ich hätte sehr gerne eine Langzeitmission geflogen, aber auch so war ich sehr privilegiert.
RN: Für Sie Herr Polansky war eine Langzeitmission auf der Internationalen Raumstation keine Option? Es gab ja doch mehrere Astronauten, wie z.B. Frank Culbertson, Ken Bowersox, Scott Kelly, Ron Garan, Kevin Ford, die als Piloten das Space Shuttle geflogen haben, und danach als Flugingenieur eine Langzeitmission absolviert haben.
M.P.: Nein, es war immer eine Option. Du musstest nur aktiv deine Präferenzen gegenüber dem NASA Management äußern.
Aber die Zeiten haben sich geändert und die Dinge haben sich weiterentwickelt. In der Anfangsphase des Baus der Raumstation gab es nicht so viele Piloten, die Langzeitmissionen geflogen sind, weil wir die Piloten brauchten, um das Space Shuttle zu fliegen.
Und es waren dann hauptsächlich die Piloten, die zum Ende ihrer aktiven Astronautenkarriere einen Langzeitaufenthalt auf der ISS durchgeführt haben.
Im Laufe der Zeit gab es immer weniger Shuttle-Flüge und das Büro hat sich verändert. Damals gab es eine bestimmte Aufteilung. Man musste so viele Piloten haben, dass man sie als Pilot-Astronauten einstellte. Heute ist das nicht mehr der Fall. Jetzt ist es eher ein homogenes Büro, in dem jeder größtenteils die gleiche Art von Aufgabe an Bord der ISS sucht. Das ändert sich gerade ein wenig wegen Artemis und dem, was dort passiert. Es kommt einfach auf den Bedarf des Büros an.
RN: Sie haben 3 Flüge absolviert, einen als Pilot, zwei als Kommandant (an M.P. gerichtet) und Sie haben an zwei Flügen als Missionsspezialist (an J.P. gerichtet) teilgenommen. Welcher Ihrer Flüge war der wichtigste und welcher hatte den größten Spaßfaktor?
M.P.: Meine Antwort wird immer die gleiche sein. Da könnten Sie mir die Frage stellen welches von meinen Kindern ich am meisten liebe. Und ich habe kein Lieblingskind. Jede Mission war unterschiedlich, die Werkzeuge, die wir verwendet haben, waren unterschiedlich und unser Auftrag war auch immer unterschiedlich.
Der erste Flug – nichts ist so besonders wie das erste Mal im Weltraum. Der letzte Flug war speziell weil ich da wusste, das es mein letzter Flug ist.
J.P.: … und es war eine großartige Mission …
M.P.: Es waren alles großartige Missionen. Die zweite Mission war meine erste, in der ich der Kommandant war. Und das war schon was Besonderes. Und du hast keinen Spaß, wenn du fragst, was davon am meisten Spaß gemacht hat. Wenn du im Weltraum bist und keinen Spaß hast, dann stimmt etwas nicht mit dir.
J.P.: Ich war sehr privilegiert. Mein erster Flug fand ganz am Anfang des Aufbaus der Internationalen Raumstation statt. Wir waren erst die zweite Crew, die dort ankam und die erste Crew, die manuell an die Raumstation andockte. Es gab nur diese beiden Module (Anmerkung der Redaktion: Unity und Zarya) und die Station war unbesetzt. Zehn Jahre später fliege ich meine nächste Mission ganz am Ende der Konstruktionsphase. Welch ein Privileg, diese Ära miterlebt zu haben. Und natürlich arbeitet man zwischen den Flügen am Boden. Man unterstützt die Missionen der anderen Kollegen am Boden. Ich habe viele Jahre in der Missionskontrolle gearbeitet und war immer noch sehr stark an den Missionen anderer beteiligt. Ich denke, es war ein großes Privileg, genau zu dieser Zeit dort zu sein.
Ich denke, ich hatte das große Privileg, beim Bau dieser außergewöhnlichen Plattform und des Orbitallabors ISS dabei gewesen zu sein.
RN: Lassen Sie uns über das Hier und Jetzt sprechen. Wir sind beim Asteroid Day in Luxemburg. Dieser 30. Juni erinnert an den Asteroideneinschlag im Jahr 1908 in der Region Tunguska im heutigen Gebiet Krasnojarsk. Der Asteroidentag soll das Bewusstsein für die Gefahr des Einschlags eines Asteroiden oder Kometen in die Erdatmosphäre schärfen.
Wie sehen Ihre Vorstellungen für eine Asteroidenabwehr aus?
J.P.: Ich weiß jetzt gerade nicht genau, ob Sie auch gestern den Programmpunkt des Asteroid Day Programms miterlebt haben (Anmerkung der Redaktion: Ja, haben wir) als erwähnt wurde, dass wir in unserer Entwicklung als raumfahrtbetreibende Welt an einem Punkt angelangt sind, an dem wir nie wieder ein Ereignis wie den Asteroideneinschlag vor 56 Millionen Jahren erleben werden, der die Dinosaurier aussterben ließ. Es wird nie wieder ein Massenaussterben aufgrund eines Asteroideneinschlags geben, weil wir in der Lage sind, sie kommen zu sehen und uns darauf vorzubereiten. Es ist wichtig, über die planetarische Verteidigung zu sprechen. Aber wenn es tatsächlich zu einer Annäherung zwischen einem Asteroiden und unserem Planeten kommt, werden wir das schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vorher wissen. Wenn wir dieses Ding kommen sehen, werden wir einen Plan haben, um sicherzustellen, dass es uns nicht schadet. Und das alles nur, weil wir Raumfahrt betreiben.
M.P.: Ich denke einfach, dass wir im Laufe der Zeit so viel gelernt haben, und es ist eine Tatsache, dass wir Veranstaltungen wie diese und viele andere auf der ganzen Welt haben, dass wir Menschen haben, die ihr Leben und ihre Karriere der Planetenverteidigung, der Asteroidenerkennung und der Kollisionsvermeidung widmen, dass wir Missionen wie DART hatten, die bewiesen haben, dass wir Dinge tun können, die nicht nur theoretisch sind.
Wenn man sich also ansieht, wie weit wir gekommen sind und wie wir immer mehr lernen und unsere Technologien weiterentwickeln, bin ich sehr optimistisch, was die Zukunft angeht, und Veranstaltungen wie diese tragen wirklich dazu bei, dies der gesamten Weltbevölkerung zu vermitteln.
RN: Wir bedanken uns bei Ihnen, dass Sie sich die Zeit für uns genommen und uns für ein Interview zur Verfügung gestanden haben.
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