Am 29. Juni 2022 konnte Raumfahrer.net (RN) im Rahmen des Asteroid Day 2022, am Rande des Asteroid Day Technical Briefings, dem US-Astronauten Colonel Ron Garan (STS-124, Sojus-TMA 21 / Expedition 27 / Expedition 28) einige Fragen stellen.
Ein Beitrag von Kirsten Müller und Ingo Muntenaar.
Ronald Garan wurde am 30. Oktober 1961 in Yonkers, U.S. Bundesstaat New York geboren.
Nach seinem Schulabschluss erzielte er 1994 einen Master in Luftfahrt an der Embry-Riddle Aeronautical University. 1996 hat er noch einen weiteren Masterabschluss in Luft- und Raumfahrttechnik an der University of Florida gemacht.
Nach dem Besuch der Pilotengrundausbildung auf der Vance Air Force Base in Oklahoma erwarb er 1985 seinen Pilotenschein. Danach absolvierte er seine weitere fliegerische Ausbildung auf der Luke Air Force Base in Arizona zum Flugzeugführer einer F-16. Als erfahrener F-16 Pilot diente Garan dann im Zeitraum 1986 bis 1988 im 496. taktischen Jagdgeschwader auf dem Luftwaffenstützpunkt Hahn in der Bundesrepublik Deutschland. Von August 1990 bis März 1991 war er zur Unterstützung der Operationen Desert Shield/Desert Storm in Südwestasien im Einsatz, wo er Kampfeinsätze in der F-16 flog. 1991 wurde Garan an die USAF Weapons School versetzt, wo er als Ausbilderpilot, verantwortlicher Luftfahrzeugführer und stellvertretender operativer Diensthabender der F-16 Weapons School diente.
Im Jahr 1994 wurde er als Entwicklungstestpilot und leitender F-16-Pilot der 39. Flugerprobungsstaffel, Eglin Air Force Base, Florida, zugewiesen. Nach dem Besuch der Testpilotenschule der Marine auf der Patuxent River Naval Air Station, Maryland, von Januar bis Dezember 1997, leistete er dann wieder Dienst bei der 39. Flugerprobungsstaffel, Eglin Air Force Base als Direktor der gemeinsamen Erprobungsstelle für Boden-Luft-Raketensysteme. Er hat über 5.000 Flugstunden in mehr als 30 verschiedenen Flugzeugen absolviert. Während seiner Zeit als Einsatzoffizier der 40. Flugerprobungsstaffel wurde er im Juli 2000 für das Astronautenprogramm der NASA als Pilot ausgewählt und begann im August 2000 seine Astronautenausbildung. Garan schied am 1. Juni 2009 aus der US-Luftwaffe aus.
Im April 2006 nahm er als Aquanaut an der gemeinsamen NASA-NOAA-Mission NEEMO 9 (NASA Extreme Environment Mission Operations) teil, einer Forschungsmission in Aquarius, dem einzigen Unterwasserforschungslabor der Welt. Während dieser 18-tägigen Mission entwickelte die sechsköpfige Besatzung von NEEMO 9 Verfahren zur Erforschung der Mondoberfläche und telemedizinische Technologieanwendungen zur Unterstützung zukünftiger Verfahren für die Erforschung des Weltraums.
Garan arbeitete in der Open Government Initiative der NASA, die sich um die Entwicklung innovativer Kooperationen innerhalb der Regierung, der Industrie und mit Bürgern auf der ganzen Welt bemüht. Zuletzt wechselte er von der NASA zur United States Agency for International Development (USAID), um bei der Implementierung modernster Technologien zur Lösung von Problemen in den Entwicklungsländern zu helfen. Bei der USAID initiierte er das Unity Node Program, ein Gemeinschaftsprojekt, das es humanitären Organisationen auf der ganzen Welt ermöglicht, auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. Garan verließ die Behörde im September 2013, um diese Arbeit als Privatperson fortzusetzen, internationale Raumfahrtprogramme durch die Initiative Fragile Oasis weiter zu fördern und mehrere sozialunternehmerische Projekte zu starten, die zur Lösung der Herausforderungen unseres Planeten beitragen.
Als Missionsspezialist absolvierte Ron Garan seinen ersten Weltraumeinsatz während des Space Shuttle-Fluges STS-124. Discovery startete am 31. Mai 2008 zum 26. Shuttle-Flug zur Internationalen Raumstation. Nach einer Flugzeit von 13 Tagen, 18 Stunden und 13 Minuten endete die Mission auf der Landebahn am Kennedy Space Center in Florida. Ein Missionsziel war der Tausch eines Besatzungsmitgliedes der Internationalen Raumstation. Gregory Chamitoff als Bordingenieur der Expedition 17 flog mit STS-124 zur ISS und hat Garrett Reisman als Bordingenieur der ISS Expedition 16 abgelöst. Dieser flog als Besatzungsmitglied von STS-124 zur Erde zurück. Als Hauptnutzlast waren in der Nutzlastbucht von Discovery weitere Teile des japanischen Kibo-Moduls (Japanese Experiment Module – Pressurized Module, JEM PM) und der japanische Roboterarm (JEM RMS) verankert. Während dreier Außenbordeinsätze bereiteten Michael Fossum und Ron Garan die neuen Module für das Andocken an der ISS vor und führten Wartungsarbeiten am Drehgelenkmotor einer Solarzellenfläche durch.
Seinen zweiten Raumflug absolvierte Ron Garan als Besatzungsmitglied der Expedition 27/28. Mit Sojus-TMA 21 startete er als zweiter Bordingenieur am 4. April 2011 von der gleichen Startrampe in Baikonur, von der Juri Gagarin fast 50 Jahre zuvor gestartet war. Als Mitglied der Expedition 28 unternahmen Garan und Fossum den letzten Weltraumspaziergang vom angedockten Space Shuttle Atlantis während der Mission STS-135. Ron Garan war es, der die Luke zum Space Shuttle zum letzten Mal schloss. Danach koppelte Atlantis ab, um die letzte Mission eines Space Shuttle abzuschließen.
Die Mission von Sojus-TMA 21 endete am 15. September 2011 in der kasachischen Steppe.
Garan hat als NASA Astronaut 18 Tage auf dem Grund des Ozeans verbracht. Und im Laufe von 2.842 Umkreisungen unseres Planeten hat er 71.075.867 Meilen zurückgelegt, wobei er mehr als 178 Tage im Weltraum verbrachte, davon 27 Stunden und 3 Minuten bei vier Weltraumspaziergängen.
Als Autor hat Ron Garan bisher drei Bücher veröffentlicht. Das erste Buch „The Orbital Perspective: An astronaut‘s view“ erschien 2015. Die beiden anderen Bücher, „Floating in darkness“ und das Kinderbuch „Railroad to the Moon“, erschienen 2021.
Was fragt man einen Astronauten? „Wie geht man im Weltraum auf die Toilette“? Diese Frage hätten wir stellen können, konnten es uns dann aber doch verkneifen. Wir haben uns allerdings für eine andere Aufwärmfrage entschieden. Das Gespräch fand bis auf eine Ausnahme auf Englisch statt. Wir geben dieses Gespräch in der deutschen Übersetzung wieder.
Raumfahrer.net (RN): Wann haben Sie sich entschieden, Astronaut zu werden?
Ron Garan: Am 20. Juli 1969. Das war der Tag, an dem der erste Mensch seinen Fuß auf die Oberfläche des Mondes setzte.
RN: Dann können wir Ihnen die exakte Uhrzeit zu diesem Ereignis nennen.
Ron Garan: Ich war zu dem Zeitpunkt sieben Jahre alt und habe die Mondlandung am Fernseher verfolgt. Und es gibt noch ein weiteres Ereignis, welches für mich mit dem 20. Juli zusammenhängt. Ich erhielt genau am 20. Juli 2000 den Telefonanruf der NASA, in dem man mich einlud am Johnson Space Center in Houston meine Astronautenausbildung bei der NASA zu beginnen.
RN: Sie haben ihre Pilotenausbildung gemacht und sind dann als F-16 Pilot zum Luftwaffenstützpunkt nach Hahn versetzt worden. Eigentlich könnten wir das Gespräch nun auch auf deutsch weiterführen.
Ron Garan: Stimmt, ich war einige Jahre in Deutschland stationiert. Mein Deutsch reicht aber nur, um mich in einer Gaststätte zu verständigen. (Anmerkung: Diesen Gesprächsanteil haben wir in deutscher Sprache gesprochen)
RN: Sie sind als Pilot für das Space Shuttle ausgewählt worden. Sie haben sämtliche Space Shuttle Systeme gelernt und die dazugehörigen Prozeduren. Dann haben Sie unzählige Trainingsflüge und Anflüge mit dem Shuttle Training Aircraft (Anmerkung der Redaktion: eine modifizierte Grumman Gulfstream II, die die Flugeigenschaften des Space Shuttle im Unterschallbereich simuliert) auf der Shuttle Landing Facility des Kennedy Space Center und am White Sands Space Harbor durchgeführt. Dazu kamen noch hunderte Stunden im Simulator, um Aufstiegsszenarien zu erlernen. Sie sind aber niemals als Pilot für eine Space Shuttle Mission nominiert worden.
Ron Garan: Das stimmt. Ich war auf meinem ersten Flug STS-124 als Missionsspezialist nominiert worden. Meine Reise zu dieser Nominierung hatte bereits eineinhalb Jahre früher begonnen. Kent Rominger, der damalige Chefastronaut, hatte an alle diejenigen aus meiner Astronautenklasse, die als Space Shuttle Pilot ausgewählt wurden, eine Nachricht geschickt. Darin fragte er, ob wir uns vorstellen könnten, unseren ersten Raumflug nicht als Pilot, sondern als Missionsspezialist durchzuführen. Ich habe geantwortet, dass ich absolut glücklich wäre, wenn man mich für einen Raumflug nominieren würde. Es wäre mir vollkommen egal, in welcher Position. Es muss die richtige Antwort gewesen sein. Einen Monat später wurde ich für meinen ersten Raumflug als Missionsspezialist ausgewählt. Für den Flug STS-124 war meine Position seitlich versetzt hinter dem Kommandanten Mark Kelly und dem Piloten Ken Ham. So konnte ich meine Erfahrung in Start und Landung mit einbringen.
RN: Als Pilot wären Sie sehr wahrscheinlich nie in den Genuss gekommen auf dieser Mission drei Weltraumausstiege durchzuführen?
Ron Garan: Nun, ich glaube ich hatte in meiner Ausbildung zumindest ein Basistraining im Neutral Buoyancy Tank. Aber genau weiß ich es nicht mehr. Das ist schon zu lange her. Das Training für Außenbordaktvitäten gehört nicht zur Ausbildung für Piloten. Für die tatsächliche Mission hatte ich dann wohl ausgiebiges Training für Außenbordeinsätze.
RN: Als Missionsspezialist waren Sie für diesen Flug doch ein bisschen überqualifiziert, oder?
Ron Garan: Ich hätte jederzeit als Pilot übernehmen können, wenn dem Kommandanten oder dem Piloten etwas passiert wäre.
RN: Vor Ihrer Auswahl zum Astronauten waren Sie F-16 Pilot. Ihr Kommandant des Fluges Sojus-TMA 21, Alexander Samokutjajew, war früher Luftwaffenpilot bei den russischen Streitkräften und hat die Suchoi SU-24 geflogen. Er war stellvertretender Staffelkommandant. Im kalten Krieg hätten Sie auf verschiedenen Seiten möglicherweise gegeneinander gekämpft. War das jemals ein Thema in Ihrer Ausbildung in Russland?
Ron Garan: Das war es nicht. Aber in der Tat war es ein merkwürdiges Gefühl, als ich am Starttag vor unserer Rakete in Baikonur stand. Ein ehemaliger F-16 Pilot, der gerade im früher hochgeheimen Baikonur steht, gleich eine russische Rakete besteigt und mit zwei russischen Kollegen zur Raumstation fliegt.
RN: Wie ist denn der Kontakt zwischen Ihnen?
Ron Garan: Sehr gut. Wir haben uns gut verstanden. Ich wollte damals die russische Kultur erleben. – Ach so, Sie meinen jetzt. Nun, wir haben momentan keinen Kontakt. Gespräche sind gerade sehr schwierig. Die Zusammenarbeit mit den Russen an der ISS geht aber weiter.
RN: Sie schreiben in Ihrem Buch über die orbitale Sichtweise (Anmerkung: siehe Buchtitel „The orbital perspective“). Wie sieht Ihre Vision für eine Asteroidenabwehrmission aus?
Ron Garan: Während unseres dritten Weltraumspaziergangs bei STS-124 hatten wir die Aufgabe, einen leeren Stickstofftank gegen einen gefüllten Stickstofftank zu tauschen. Das Gewicht des Tanks stellte nicht das Problem dar. Es war eher die Größe des Tanks. Die Aufgabe bestand daher darin, den voluminösen Tank von einem Punkt der Raumstation zu einem anderen zu bewegen, ohne andere externe Ausrüstung zu beschädigen. Dies machten wir dann mit dem Canadarm2. Karen (Nyberg) und Aki (Hoshide) bedienten den Roboterarm der ISS, während ich meine Schuhe in der Fußhalterung am Ende des Roboterarms eingerastet hatte. Mit beiden Händen hielt ich den sperrigen Tank und dann wurde ich in einem „Windshield Wiper“ (Anmerkung der Redaktion: Scheibenwischer) genannten Flugmanöver in einem hohen Bogen von einem Ende der Raumstation zum anderen Ende gehoben. Im Scheitelpunkt des Bogens war ich ca. 30 m über der Raumstation. Dieses Flugmanöver fand im Erdschatten statt. Es war ein bisschen unheimlich, über die Lichter der Raumstation in die Dunkelheit aufzusteigen. Ich löste eine Hand von dem Griff des leeren Tanks und knipste meine Helmlichter aus. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich eine unglaubliche Aussicht genießen. Ich sah die Milchstraße. Ich konnte in die Unendlichkeit schauen. Nachdem ich den leeren Tank auf der anderen Seite des Bogens an Mike (Fossum) übergeben hatte und gegen den vollen Tank getauscht hatte, führten wir den „Windshield Wiper“ in die entgegengesetzte Richtung aus. Nur diesmal fand das Flugmanöver auf der Tagseite unserer Umlaufbahn statt. Im Scheitelpunkt des Bogens angekommen, sah ich die Raumstation 30 m unter mir, vor dem Hintergrund unseres blauen Planeten, der sich 240 Meilen (ca. 440 km) darunter befand.
Ich wunderte mich einfach nur, wie es sein konnte, dass viele Nationen, von denen einige nicht die besten Freunde waren, einen Weg gefunden haben, ihre Differenzen beiseite zu legen und so etwas Erstaunliches wie die ISS erreicht haben.
Als ich dort oben auf unseren Planeten herunterschaute, habe ich mich gefragt, wie die Welt aussehen würde, und mit wie vielen Problemen wir weniger konfrontiert wären, wenn wir bei unseren Interaktionen auf der Erde das gleiche Maß an Kooperation und Zusammenarbeit erreichen könnten.
Daher ist die Initiative „Asteroid Day“ ein wunderbares Beispiel dafür, wie Menschen aus allen Regionen der Welt mit ihren unterschiedlichen Stärken und Erfahrungen ihr Wissen zusammen bringen, um unseren Planeten vor der kosmischen Bedrohung zu beschützen.
RN: Vielen Dank, Colonel Garan, für das interessante Gespräch.
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