Angara

Die Angara-Rakete soll als modulares System mehrere bislang verwendete Raketen ersetzen. Ursprünglich begann die Entwicklung, um von Baikonur als Startplatz unabhängig zu werden, doch nach einer Neufassung des Konzepts entsteht eine universelle Trägerrakete.

Autor: Stefan Heykes

Ursprünge

Erstes Konzept der Angara mit parallelen Tanks
(Bild: Khrunitschew)

Nach dem Zerfall der Sowjetunion stand für die schwere Trägerrakete Proton nur Baikonur in Kasachstan als Startplatz zur Verfügung. Das russische Militär war angewiesen auf diesen Träger und wollte eine Rakete entwickeln, die die Proton ersetzen konnte und vom russischen Plesezk aus gestartet werden konnte. Mit der Entwicklung wurde der Proton-Hersteller GKNPZ Chrunitschew aus Moskau beauftragt. Man entschied sich damals für eine zweistufige Rakete, deren erste Stufe Kerosin und Flüssigsauerstoff verbrennen und mit dem RD-171 Triebwerk der in der Ukraine gefertigten Zenit-Rakete ausgestattet werden sollte. Die zweite Stufe sollte Wasserstoff und Flüssigsauerstoff verbrennen und mit dem RD-0120-Triebwerk ausgestattet werden, das bereits die mächtige Energija antrieb. Die Treibstofftanks sollten bei Chrunitschews ersten Entwurf nicht wie üblich aufeinander, sondern nebeneinander montiert werden. Dadurch wäre die Angara kompatibel zu den Startplätzen der Zenit gewesen, hätte allerdings deutlich mehr Nutzlast transportieren können. Deshalb wurde der Beschluss gefasst, die im Bau befindliche Zenit-Startrampe in Plessezk umzurüsten.

Mit dem Wandel der politischen Situation wandelte sich auch die Motivation hinter der Angara. Statt von Kasachstan unabhängig zu sein, standen nun zwei andere Dinge im Vordergrund. Einerseits wollte man die Proton ersetzen, weil diese hochgiftige Treibstoffe einsetzt und bei Fehlstarts oder dem Aufschlag nicht völlig geleerter Stufen die Umwelt verseucht. Andererseits wollte man aber auch die Zenit ersetzen, die in der Ukraine gefertigt wird und somit für Russland zu einer teuren ausländischen Rakete wurde. Mittlerweile wird sogar eine Proton-Rampe in Baikonur für die Angara umgerüstet, während man die Angara ursprünglich plante, um Kasachstan verlassen zu können. Seit 2001 steht nun das modulare Konzept weitgehend fest. Die Angara wird verschiedene Kombinationen weniger Stufen bieten, um einen weiten Nutzlastbereich abzudecken.

Die Stufen der Angara

URM-1 in der Produktion
(Bild: Khrunitschew)

Als erste Stufe wird das sogenannte URM-1 verwendet (URM entspricht der russischen Bezeichnung für „Universelles Raketen Modul“, es gibt auch die Abkürzungen CRM oder CCB für die entsprechende englische Übersetzung). Diese Stufe verwendet Kerosin und Flüssigsauerstoff. Das URM-1 ist mit einem Triebwerk von Typ RD-191 ausgestattet. Es handelt sich hierbei um eine Weiterentwicklung des ursprünglich eingeplanten RD-171. Während dieses 4 Brennkammern und eine Schubkraft von ca 8.000 kN hat, erreicht das RD-191 mit nur einer Brennkammer rund 2.000 kN Schub. Die exakten technischen Daten des URM-1 sind noch nicht bekanntgegeben worden, allerdings wird die Stufe etwa 10 t wiegen und 130 t Treibstoff aufnehmen können. Vom URM-1 werden in der Angara 1-5 (vielleicht 7) für eine Rakete verwendet. Eine Abwandlung dieser Stufe bildet die erste Stufe der südkoreanischen KSLV.

Bris-KM
(Bild: Khrunitschew)

Die kleinste Version der Angara (Angara 1.1) wird die Bris-KM als zweite Stufe einsetzen. Diese wird derzeit bei der Rockot-Trägerrakete verwendet. Die Bris-KM wiegt insgesamt 6,5 Tonnen, leer sind es 1,4 Tonnen. Sie verwendet die lagerfähigen Treibstoffe UDMH (unsymmetrisches Dimethylhydrazin) und NTO (Distickstofftetroxid). Diese Treibstoffe zünden bei Kontakt von alleine, daher ist die Bris-KM mit dem Triebwerk S5.98 (Schubkraft 20kN) für mehrfache Zündungen geeignet und kann Nutzlasten auch in nur durch mehrere Brennphasen zu erreichende hohe Orbits schießen.

Alle anderen Versionen verwenden das URM-2 als zweite Stufe. Dieses verwendet die gleichen Treibstoffe wie das URM-1. Das Triebwerk RD-0124A ist eine Variante des Drittstufentriebwerks der modernsten Sojusversion 2.1b. Dieses Triebwerk erreicht einen Schub von rund 300 kN bei einem für diesen Treibstoff sehr hohen spezifischen Impuls von 3.500 m/s. Diese Stufe ist im Gegensatz zur Bris nicht wiederzündbar. Daher ist das URM-2 nur in der Lage, den niedrigen Erdorbit oder elliptische Orbits mit erdnahem Perigäum anzufliegen.

Bris-M-Produktion
(Bild: Khrunichev)

Um andere Orbits zu erreichen, existieren daher zusätzliche Oberstufen. Zunächst einmal ist dies die Bris-M. Bei ihr handelt es sich um den „großen Bruder“ der Bris-KM. Praktisch alle Systeme sind identisch, allerdings hat die Bris-M einen zusätzlichen abwerfbaren Treibstofftank um den Kern herum. Dadurch erreicht sie eine Startmasse von bis zu 22,5 t. Diese Oberstufe wird derzeit als Standard bei kommerziellen Flügen auf der Proton-Rakete verwendet.

In Entwicklung befindet sich derzeit die Familie der KVTK-Oberstufen. Diese verwenden die Kombination Wasserstoff/Sauerstoff. Davon sind zwei (später drei) Versionen geplant. Alle Varianten werden das RD-0146D Triebwerk mit einem Schub von 75 kN und einem herausragenden spezifischen Impuls von über 4.600 m/s verwenden. Dieses Triebwerk ist bis zu fünfmal wiederzündbar und erlaubt dadurch genau wie die Bris das Erreichen anspruchsvoller Orbits. Die Basisversion KVTK wiegt leer 4,4 t und nimmt 19,6 t Treibstoff auf. Die KVSK hat kürzere Tanks und wiegt somit voll 14 t und leer 3 t. Falls die KVTK-A7 entwickelt wird, wird sie einen größeren Durchmesser besitzen und so eine Startmasse von 32 t bei 5 t Leergewicht erreichen.

Die Versionen

von links: KVSK, KVTK, KVTK-A7
(Bild: Khrunichew)

Die kleinste Variante wird die Angara 1.1 sein. Sie besteht aus einem URM-1 und der Bris-KM. Damit kann diese Rakete 2 t in einen niedrigen Erdorbit (LEO) bringen. Damit liegt diese Version im Bereich der Rockot, die im Prinzip eine modifizierte Interkontinentalrakete ist und bis auf die Oberstufe nicht mehr produziert wird. Für Ersatz ist also gesorgt.

Die Angara 1.2 verwendet ebenfalls ein URM-1, allerdings ist die zweite Stufe hier das URM-2. Damit können 3,8 t in einen LEO gebracht werden. Diese Variante stellt damit einen Ersatz für die Dnepr da, die genau wie die Rockot eine Konversionsrakete ist und eventuell schon 2010 ihren letzten Flug hatte.

Während diese beiden nur willkommene Möglichkeiten waren, das Angebot nach unten abzurunden, stellt die Angara 3 den gewünschten Ersatz für die Zenit dar. Sie bringt mit drei URM-1 und dem URM-2 14,6 t in einen LEO. Mit der Oberstufe Bris-M schafft sie 2,4 t in den geostationären Transferorbit (GTO) und 1 t in den geostationären Orbit (GEO). Die kryogene Oberstufe KVSK leistet mehr, sie ermöglicht den Transport von 3,6 t in den GTO und 2 t in den GEO. Die Angara 3 besitzt eine Startmasse von 481 t.

Der geplante Proton-Ersatz ist die Angara 5. Sie besteht aus 5 URM-1 und dem URM-2. Damit schafft sie 24,5 t Nutzlast in den LEO. Mit der Bris-M sind es 5,4 t in den GTO und 3 t in den GEO. Die KVTK bringt 7,5 t in den GTO und 4,6 t in den GEO. Das Startgewicht beträgt 773 t. Es gab zwischenzeitlich auch Pläne, eine bemannte Angara 5P (P für pilotiert) zu entwickeln, allerdings hat sich dies mit der Entscheidung für die Rus-M wieder zerschlagen.

Die schwerste Version Angara 7 wird derzeit nicht aktiv entwickelt. Bei dieser Rakete würden 6 URM-1 als Booster verwendet werden, während die Zentralstufe genau wie die zweite Stufe und die optionale dritte Stufe KVTK-A7 im Durchmesser vergrößert würden. Diese Rakete würde 35 t in den LEO bringen können und mit der KVTK-A7 12,5 t in den GTO und 7,6 t in den GEO. Darüber hinaus gibt es Konzepte, superschwere Trägerraketen mit Nutzlasten von 45-150 t auf Basis der Angara zu entwickeln. Diese hätten allerdings außer dem Namen und dem modularen Konzept wenig mit dieser Angara gemein.

Von links: Angara 1.2, Angara 3, Angara 5, Angara 5P
(Bild: Wikipedia)

Ausblick

Die Rakete an sich ist im Prinzip fertig entwickelt. Es fehlt derzeit nur an den Startrampen. Der Komplex in Plesezk wird 2012 oder 2013 den ersten Start erlauben, von Baikonur aus plant man Flüge ab 2015. Dann sind auch leicht höhere Nutzlasten als von Plesezk aus möglich. Für die Zukunft könnte es auch Startrampen in Vostochny geben, allerdings gibt es dafür derzeit keine konkreten Pläne. Den ersten Start wird voraussichtliche eine Angara 1.2 durchführen, um die Stufen zu testen. Danach ist der erste Start der Angara 5 geplant, da man die Proton möglichst schnell ersetzen will. Die Angara 3 wird dann folgen, da die Zenit nicht so problematisch ist wie die Proton. Die Realisierung schwererer Varianten ist derzeit nicht zu erwarten, da Russland für Schwerlastträger die derzeit in Entwicklung befindliche Rus-M als Basis verwenden will und bereits Versionen mit bis zu 50 t Nutzlast plant.

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