And the winner is… SpaceShipOne!

Mit einem Flug wie aus dem Lehrbuch gewann gestern SpaceShipOne den vor acht Jahren ausgelobten „X-Prize“. Der Pilot war diesmal Brian Binnie.

Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: SpaceFlight Now.

None
SSOne und White Knight während eines Testflugs (Bild: Scaled Composites)

Zum zweiten Mal ist gestern nachmittag (deutscher Zeit) SpaceShipOne erfolgreich in den Weltraum aufgestiegen. Der Flug ging diesmal noch etwas höher hinaus als letzte Woche und fand nur fünf Tage nach dem ersten Flug statt. Damit wurde die Bedingung des „X-Prize“, den Flug innerhalb von zwei Wochen zu wiederholen, noch deutlich übertroffen.

Das Rennen um den X-Prize ist nun entschieden: The winner is… SpaceShipOne! Konstrukteur Burt Rutan und Hauptfinancier Paul Allen können sich über zehn Millionen Dollar freuen. Zwar dürfte dies ihre Investitionen kaum decken (Allen allein soll über 20 Millionen Dollar investiert haben), dennoch haben sie mit diesem Flug nun Raumfahrtgeschichte geschrieben, denn dies waren die ersten privat finanzierten Weltraumflüge.

None
SSOne beim Aufstieg während eines Testflugs (Bild: Scaled Composites)

Und erst Recht gebührt diese Ehre den tapferen Piloten Mike Melvill (63) und Brian Binnie (51), der heute am Steuer saß. „Es war sehr, sehr aufregend“, sagte Binnie nach seiner problemlosen Landung auf dem Rollfeld des Mojave-Flughafens. Melvill und Binnie stehen damit in der Tradition des berühmten amerikanischen Luftfahrtpioniers Charles Lindbergh, der 1927 mit seinem Flugzeug Spirit of St. Louis die erste Non-Stop-Atlantiküberquerung schaffte. Konstruktion und Bau dieses Flugzeugs wurden damals ebenfalls durch die Auslobung eines privat gestifteten Preises initiiert.

Der erste Flug war nicht problemlos verlaufen, denn am Mittwoch begann SpaceShipOne während des fast senkrechten Aufstiegs unter vollem Schub seines Triebwerks immer schneller um seine Längsachse zu rotieren. Pilot Mike Melvill brach den Flug aber nicht ab, sondern schaltete nur das Triebwerk elf Sekunden früher aus als geplant – die erreichte Höhe genügte dennoch den Regeln des „X-Prize“.

None
SpaceShipOne im Juni über der Erde, mit aufgestellten Schwingen. Die Nummer 328 steht für 328.000 Fuß = 100 km Höhe. (Bild: Scaled Composites)

Beim heutigen Flug von Binnie traten nun keinerlei Instabilitäten auf, das Raketenflugzeug stieg in durchgehend stabiler Fluglage bis zur Weltraumgrenze auf. „Es ist schwer zu beschreiben“, erzählte Binnie den Reportern hinterher, „es ist eine fantastische Erfahrung, die in dem Moment ihren Höhepunkt erreicht, wenn das Triebwerk schweigt und Sie plötzlich spüren, dass Sie schweben. Da draußen ist tiefe Schwärze, gegen die sich diese helle, strahlende Perle da unten abhebt, und dabei ist das ganz Kalifornien, so sieht das von da oben aus … Es ist ein fantastischer Anblick, es ist ein fantastisches Gefühl. Da ist eine Freiheit und ein Gefühl von etwas Wunderbarem, das… ich sag‘ Ihnen was… Sie alle müssten das mal erleben.“
Unmittelbar vor dem Rücksturz zur Erde fuhr Binnie die Spezialschwingen von SpaceShipOne aus, die mit dem Erreichen dichterer Luftschichten den Fall erheblich bremsen und zudem weitgehend automatisch bewirken, dass das Flugzeug „die Nase in den Wind“ bekommt und somit wieder manövrierfähig wird, egal aus welcher, womöglich haarsträubenden Fluglage heraus. Auch diesmal funktionierte dieses Manöver wieder perfekt. Diese Schwingen, eine Innovation von Rutan, basieren auf der simplen Grundidee des Federballs, der sich ja auch, kaum dass er den Schläger verlassen hat, in Flugrichtung ausrichtet und schnell langsamer wird. Daher auch die Bezeichnung „Ausfedern“, wie Rutan das Ausfahren der Schwingen nennt (siehe Bild).

None
Die SSOne-Piloten: Brian Binnie (o.l.), Pete Siebold (o.r.), Mike Melvill (u.l.), Douglas Shane (u.r.) (Bild: Scaled Composites)

Wie schon am Mittwoch wurde die Identität des Piloten erst wenige Stunden vor dem Start bekannt gegeben. Es hätte niemanden überrascht, wenn es wieder Mike Melvill gewesen wäre, der sowohl die „Generalprobe“ im Juni als auch den ersten X-Prize-Flug erfolgreich gemeistert hatte. Doch statt ihm flog nun Brian Binnie, einer von insgesamt vier für SpaceShipOne ausgebildeten Piloten. Nach dem ersten X-Prize-Flug hatte Melvill noch erklärt, die Rollbewegungen des Flugzeugs, die zu einer Art „Korkenzieher-Flugbahn“ geführt hatten, seien kein Konstruktionsfehler, sondern ein Pilotenfehler von ihm, Melvill, gewesen. „Ich bin 63 Jahre alt, und wenn Sie alt sind, passieren Ihnen solche Dinge“, hatte er auf einer Pressekonferenz gesagt.

Auf einer renommierten amerikanischen Raumfahrt-Webseite wurde aber auch spekuliert, dass Melvill das wilde Rollen von SpaceShipOne in Kunstfliegermanier absichtlich ausgelöst hätte, um den Flug noch spektakulärer erscheinen zu lassen, als er ohnehin schon war. Zwar war von offizieller Seite kein derartiges Wort zu hören. Burt Rutan erläuterte zwischen den beiden Flügen nur, dass durch die extrem dünne Luft in dieser Höhe das Rollen einerseits nicht zu korrigieren war, andererseits aber auch keine nennenswerte aerodynamischen Belastung des Rumpfes und der Tragflächen aufgetreten seien. Er sagte aber auch: „Es besteht kein Anlass zu Änderungen an SpaceShipOne„, bekräftigte also in gewisser Weise Melvills Äußerung vom Pilotenfehler.
Man weiß ferner, dass Rutan den Flug schon abbrechen wollte, als die Rollbewegungen auftraten. Melvill befolgte Rutans Befehl aber nicht. Wusste Melvill vielleicht am besten, was er tat, dass es also tatsächlich keinen Grund für einen Abbruch gab?

Und heute dann die Entscheidung, Binnie fliegen zu lassen. Es ist nur Spekulation – aber manifestierte sich darin vielleicht ein Unwille von Rutan über Melvills unprofessionellen Übermut, sein Leben und auch SpaceShipOne mit spektakulären Kunstflugeinlagen unnötig zu riskieren, wo vielmehr vorsichtige, nüchterne Pflichterfüllung angesagt war?

Verwandte Artikel:

Nach oben scrollen