Am Polarkreis: Erste Sonnenstrahlen für Sunrise III

Mit dem „First Light“ am Startplatz in Schweden erreicht das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III einen wichtigen Meilenstein. Start ist im Juni. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung.

Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.

„First Light“ für das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III. (Bild: MPS (A. Gandorfer))

5. Mai 2022 – Etwa einen Monat vor Beginn seines Forschungsflugs in der Stratosphäre hat das Sonnenobservatorium Sunrise III an seinem Startplatz am Polarkreis zum ersten Mal auf die Sonne geschaut. Im Juni wird es vom Esrange Space Center, der Ballon- und Raketenbasis der Schwedischen Weltraumagentur SSC im nordschwedischen Kiruna, auf eine Höhe von etwa 35 Kilometern steigen und während des mehrtägigen Fluges einzigartige Messdaten von der Sonne aufnehmen. Prozesse in der Chromosphäre, der hochdynamischen Schicht zwischen der sichtbaren Oberfläche und der äußeren Atmosphäre der Sonne, werden so genauer als je zuvor sichtbar. Die verbleibenden Wochen bis zum Start nutzen die technischen und wissenschaftlichen Teams aus Deutschland, Spanien, Japan und den USA, um alle Systeme und die wissenschaftlichen Instrumente auf ihren Einsatz vorzubereiten. Zudem werden die Abläufe und der Betrieb des Observatoriums während des Flugs geübt.

Seit Anfang April dieses Jahres ist Esrange Space Center im nordschwedischen Kiruna Schauplatz der letzten Vorbereitungen für den Flug von Sunrise III. In Einzelteile zerlegt ist die gesamte Hardware einschließlich Gondel, Sonnenteleskop und wissenschaftlicher Instrumente in Lastwagen vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen dorthin gereist. Das MPS leitet die Mission. Seitdem sind die eisigen Temperaturen von bis zu -15 Grad Celsius und das Schneetreiben, das bei der Ankunft herrschte, verträglicheren Bedingungen gewichen. Das so genannte „First Light“, der erste Blick auf die Sonne, fand bei Temperaturen um den Gefrierpunkt statt.

„Der Start vom Polarkreis ist mit einem beträchtlichen logistischen Aufwand verbunden“, blickt Sunrise III-Projektmanager Dr. Andreas Korpi-Lagg vom MPS auf die letzten Monate zurück. Doch für den wissenschaftlichen Erfolg der Mission ist der abgelegene Startplatz im hohen Norden von entscheidender Bedeutung. Da die Sonne jenseits des Polarkreises im Sommer nicht untergeht, kann Sunrise III während des Fluges rund um die Uhr Messdaten aufzeichnen. Am Erdboden finden Sonnenforscherinnen und -forscher die besten Sichtbedingungen etwa auf Hawaii, auf den Kanarischen Inseln oder im US-amerikanischen Südwesten. Doch selbst während der besten Beobachtungssaison, üblicherweise im Frühsommer, sind dort die Messungen typischerweise auf wenige Stunden am Tag begrenzt.

Ein weiterer Vorzug von Sunrise III ist die Beobachtungshöhe. Ein riesiger, mit Helium gefüllter Ballon hebt das etwa sechs Meter hohe Observatorium beim Start bis in die Stratosphäre. In etwa 35 Kilometern Höhe trägt der Wind Observatorium und Ballon nach Westen. In dieser Höhe, die beinahe schon den Übergang zum Weltall markiert, ist die Atmosphäre so dünn, dass Luftturbulenzen die Sicht nicht trüben. Zudem hat das ballonfahrende Forschungsobservatorium dort Zugang zur ultravioletten Strahlung der Sonne, deren Großteil die Erdatmosphäre absorbiert. „Bessere Beobachtungsbedingungen bieten nur Raumsonden im Weltall“, so Projektleiter Prof. Dr. Sami Solanki, Direktor am MPS.

Beim „First Light“ am Esrange Space Center im nordschwedischen Kiruna richtete sich das Observatorium selbsttätig zur Sonne aus. Zum ersten Mal am Startplatz erreichte auf diese Weise natürliches Sonnenlicht die wissenschaftlichen Instrumente. (Bild: MPS (A. Gandorfer))

Vom Kran getragen
Beim „First Light“ in Kiruna verblieb Sunrise III am Boden. Der Meilenstein bietet nicht in erster Linie aussagekräftige Messdaten von der Sonne, sondern die Möglichkeit, alle Systeme mit natürlichem Sonnenlicht zu testen und zu kalibrieren. Als der Kran in der großen Halle, die dem Sunrise III-Team am Esrange Space Center als Wirkungsfeld dient, das sechs Tonnen schwere Observatorium einige Zentimeter angehoben hat, kann es losgehen. Das Hallentor öffnet sich; zum ersten Mal richtet sich die Gondel selbsttätig zur Sonne aus – ganz so, wie es auch während des Forschungsfluges erfolgen soll. Sonnenstrahlen fallen in das Teleskop und erreichen von dort die wissenschaftlichen Instrumente und das Bildstabilisierungssystem. Vor ihren Computerbildschirmen tiefer in der Halle verfolgen die wissenschaftlich-technischen Teams, wie die Systeme auf das Sonnenlicht reagieren.

Sunrise III ist mit drei wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet. Gemeinsam liefern sie umfassende Messdaten aus der Region knapp unterhalb der sichtbaren Sonnenoberfläche bis in die obere Chromosphäre, etwa 2000 Kilometer darüber. Dafür fangen sie das infrarote, sichtbare und ultraviolette Licht aus dieser Region ein und können so dynamische Prozesse und Magnetfelder sichtbar machen. Zudem enthält Sunrise III ein ausgeklügeltes System zur Bildstabilisierung. Es sorgt dafür, dass das Observatorium auch am schwankenden Ballon hochpräzise Daten aufzeichnet. Wollte ein Sportschütze ähnlich „wackelfrei“ schießen, müsste er sein Sportgerät so ruhig halten, dass der Schuss auf sieben Kilometern Entfernung um maximal die Dicke eines Haares abgelenkt wird.

Zwischenschicht mit gewaltigem Temperatursprung
Die Chromosphäre der Sonne liegt zwischen ihrer sichtbaren Oberfläche und ihrer äußeren Atmosphäre, der Korona. In dieser Verbindungsschicht vollzieht sich ein gewaltiger Temperatursprung: von den vergleichsweise mäßigen 6000 Grad Celsius an der Oberfläche bis zu 20.000 Grad Celsius. In den darüber gelegenen Schichten steigen die Temperaturen dann sogar auf ein Million Grad Celsius an. „Selbst nach Jahrzehnten moderner Sonnenforschung ist die Chromosphäre noch immer rätselhaft“, so Solanki. „Dort spielt sich eine Vielzahl von Prozessen ab, die die Korona mit Energie versorgen und die wir noch nicht im Einzelnen verstehen“, fügt er hinzu. Im Zusammenspiel erzeugen diese Prozesse nicht nur die unfassbar hohen Temperaturen der Korona, sondern ermöglichen auch die heftigen Eruptionen, in denen die Sonne immer wieder Teilchen und Strahlung ins All schleudert. Die Messdaten von Sunrise III werden die bisher beste Höhenauflösung aus der Chromosphäre liefern: Präziser als je zuvor wird es möglich sein, einzelne Vorgänge einer genauen Höhe über der Oberfläche zuzuordnen. „Mit Sunrise III können wir die Vorgänge in der Chromosphäre besser als je zuvor verfolgen“, so Sunrise III-Projektwissenschaftler Dr. Achim Gandorfer.

Bis der abenteuerliche Flug von Sunrise III beginnt und das Observatorium erste Messdaten sammelt, werden noch einige Wochen vergehen. In dieser Zeit werden alle Systeme in Betrieb genommen und die Abläufe während des Flugs geübt. „Der Flug dauert nur einige Tage. Da muss von Anfang an alles reibungslos funktionieren“, so Korpi-Lagg. Je nach Windgeschwindigkeit erreicht Sunrise III den unbewohnten Nordosten Kanadas nach etwa fünf bis sieben Tagen. Dort landet das Observatorium am Fallschirm.

Den genauen Starttermin bestimmt das Wetter. Bei Niederschlag kann Sunrise III nicht starten; zudem ist Windstille erforderlich. „Unsere Vorbereitungen laufen nach Plan. Anfang Juni sind wir startklar“, so Korpi-Lagg. Die letzte Phase des Abenteuers hat begonnen.

Das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III ist eine Mission des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS, Deutschland) und des Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins Universität (APL, USA). Sunrise III blickt mit Hilfe eines 1-Meter-Teleskops, dreier wissenschaftlicher Instrumente und eines Systems zur Bildstabilisierung aus der Stratosphäre auf die Sonne. Maßgeblich Mitwirkende an der Mission sind ein spanisches Konsortium, das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ, Japan), und das Leibniz-Institut für Sonnenphysik (KIS, Deutschland). Das spanische Konsortium wird geleitet vom Instituto de Astrofísica de Andalucía (IAA, Spanien) und besteht zudem aus dem Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (INTA), der Universitat de València (UV), der Universidad Politécnica de Madrid (UPM) und dem Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC). Weitere Partner sind das Wallop’s Flight Facility Balloon Program Office (WFF-BPO) der NASA und die Swedish Space Corporation (SSC). Sunrise III wird unterstützt von der Max-Planck-Förderstiftung, der NASA im Rahmen des Grants #80NSSC18K0934, dem spanischen Grant FEDER/AEI/MCIU (RTI2018-096886-C5) und des „Center of Excellence Severo Ochoa“ Preises für IAA-CISC (SEV-2017-0709) sowie dem ISAS/JAXA Small Mission-of-Opportunity program und JSPS KAKENHI JP18H05234.

Sunrise III-Factsheet
pdf: https://www.raumfahrer.net/wp-content/uploads/2021/01/SunriseIIIFactsheetDE.pdf

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