Am Ende der Reise

Mit großen Schritten rückt für den europäischen Mars-Orbiter Mars Express mitsamt seinem Passagier, dem britischen Mars-Lander Beagle 2, die Ankunft beim Roten Planeten näher.

Autor: Michael Stein

Der britische Lander Beagle 2 trennt sich von seinem Mutterschiff.
(Grafik: beagle2.com)

Schon seit Wochen laufen die Vorbereitungen für die Ankunft der ersten rein europäischen interplanetaren Raumsonde auf Hochtouren: Eine Simulation folgt der nächsten, und immer wieder geht es für die Missionsspezialisten beim European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt darum, auf jede nur denkbare Eventualität während der kommenden kritischen Missionsphase bestmöglich reagieren zu können. Das eine planmäßige Ankunft beim Mars alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist hat gerade erst wieder die japanische Mars-Sonde NOZOMI gezeigt, die aufgrund massiver Störungen in der Bordelektronik nicht wie geplant am 14. Dezember in eine Marsumlaufbahn eingeschwenkt ist, sondern an unserem äußeren Nachbarplaneten vorbeigeflogen und letztendlich in einer Umlaufbahn um die Sonne gestrandet ist – ein weiterer Eintrag in der langen Liste fehlgeschlagener Mars-Missionen.
 
Vor der Trennung
Doch die Aussichten, dass es Mars Express besser ergehen wird, sind nicht schlecht: Bis auf ein Problem mit der Energieversorgung – hervorgerufen durch eine fehlerhafte Kabelverbindung – hat die Raumsonde den knapp sieben Monate dauernden Flug von der Erde zum Mars trotz heftigster Sonnenstürme gut überstanden. Dennoch ist der Eintritt in den Mars-Orbit, wo alles auf das korrekte Funktionieren des Haupttriebwerks ankommt, und die Landung von Beagle 2 neben dem Start mit Abstand die riskanteste Phase der gesamten Mission.
 
Mit einer letzten Kurskorrektur am morgigen Dienstag, dem 16. Dezember beginnt nun also die „heiße Phase“ der Ankunft beim Mars. Durch dieses Manöver wird die Ausrichtung von Mars Express auf den Roten Planeten noch ein letztes Mal korrigiert, bevor am 19. Dezember die Abtrennung von Beagle 2 erfolgen wird. Eine genaue Ausrichtung der Raumsonde – die Abweichung von der anvisierten Lage darf die Winzigkeit von einem halben Winkelgrad nicht überschreiten – ist deswegen von so großer Bedeutung, weil Beagle 2 nach der Abtrennung von Mars Express vollkommen steuerungs- und antriebslos auf sein Ziel, die marsianische Tiefebene Isidis Planitis, zurasen wird. Zum Zeitpunkt der Abtrennung wird der kleine Lander noch fünf Tage und gut zwei Millionen Kilometer vom Mars entfernt sein, so dass sich eine Abweichung bei der Ausrichtung von Mars Express bis zur Landung von Beagle 2 natürlich multiplizieren würde.

Jeder reist für sich allein

Blick in das Beagle 2-Kontrollzentrum in Leicester.
(Foto: beagle2.com)

Am Freitag dieser Woche, dem 19. Dezember, wird die Anspannung für die Beagle 2-Controller im Lander Operations Control Centre (LOCC) des British National Space Centre (BNSC) in Leicester (England) einen ersten Höhepunkt erreichen: Um 09:31 Uhr (MEZ) wird der Befehl zur Abtrennung des britischen Mars-Landers an Mars Express gesendet. Ein Federmechanismus soll den Lander in Rotation versetzen und ihn gleichzeitig mit einer Geschwindigkeit von rund 30 Zentimeter pro Sekunde vom „Mutterschiff“ wegdrücken. Spätestens im Laufe des Nachmittags werden die Bilder der nur wenige hundert Gramm leichten Mars Express-Bordüberwachungskamera zeigen, ob dieses entscheidende Manöver wie geplant ausgeführt worden ist.

Sollte dieser erste Versuch nicht gelingen, dann blieben den Spezialisten der Missionskontrolle beim ESOC noch zwei Tage für weitere Abtrennungsversuche. Eine Option wäre dann beispielsweise eine vorübergehende Lageveränderung von Mars Express, um dadurch eine Temperaturveränderung beim Abtrennmechanismus zu erreichen und so eine mögliche Blockade aufzulösen. Spätestens am 21. Dezember jedoch müssten die Versuche zur Abtrennung von Beagle 2 aufgegeben werden, um den Eintritt von Mars Express in eine Marsumlaufbahn nicht zu gefährden. In diesem „Worst-Case-Fall“ wäre die Mission des britischen Mars-Landers also schon vor ihrem eigentlichen Beginn gescheitert, und auch der weitere Verlauf der Mars Express-Mission wäre davon betroffen: Aufgrund der dann um etwa 65 Kilogramm größeren Masse des Orbiters würde mehr Treibstoff für die Abbremsung der Raumsonde und das Einschwenken in den Marsorbit benötigt, so dass kaum noch Reserven für spätere Bahnanpassungen vorhanden wären.

Der für die Abtrennung von Beagle 2 verantwortliche Federmechanismus ist wegen seiner entscheidenden Bedeutung für den Missionserfolg natürlich dutzende Male unter den verschiedensten Bedingungen getestet worden, ohne dass es auch nur einmal zu einer Fehlfunktion gekommen wäre – bei allem Wissen um die Unvollkommenheit technischer Geräte scheint eine gewisse Zuversicht, das wir am Freitag in Darmstadt und Leicester eine Menge erleichterter Gesichter sehen werden, wohl statthaft.

Mars Express geht auf Kurs
Während die Beagle 2-Mannschaft unter Leitung von Prof. Colin Pillinger nach der Abtrennung des Landers bis zur Landung am 25. Dezember nichts mehr von ihrem „Baby“ hören und sehen wird geht die Arbeit für die Mars Express-Missionsspezialisten in Darmstadt anders aus, denn noch befindet sich der Mars-Orbiter auf einem direkten Kollisionskurs mit dem Roten Planeten.

Michael McKay, der Mars Express Flight Operations Director beim Kontrollzentrum in Darmstadt, wird zusammen mit den beiden Kontrollmannschaften – die als A- und B-Team bezeichneten Mannschaften stellen eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Mission sicher – in den auf die Abtrennung von Beagle 2 folgenden Tagen einige Kurskorrekturen durchführen. Durch diese Manöver wird der Kollisionskurs mit Mars verlassen und die erforderliche Flugbahn für das Einschwenken in den Marsorbit eingenommen.

Am Morgen des 25. Dezember um 02:44 Uhr erfolgt dann schließlich die 45-minütige Zündung des Haupttriebwerkes von Mars Express. Dieses Manöver wird die europäische Marssonde soweit abbremsen, dass sie von der Schwerkraft des Roten Planeten eingefangen werden und in eine elliptische Umlaufbahn um den Planeten eintreten kann. Ist das Einschwenken in die Umlaufbahn erst einmal geschafft können die Missionsspezialisten in Darmstadt aufatmen, denn für die erste europäische Marssonde wäre damit knapp sieben Monate nach dem Start die zweite und letzte sehr kritische Phase der Mission überstanden. Natürlich endet die Arbeit nicht mit diesem Manöver, denn es bedarf noch vier weiterer Kurskorrekturen, bis schließlich die angestrebte, für die Arbeit der wissenschaftlichen Instrumente an Bord von Mars Express optimierte Umlaufbahn erreicht sein wird. Auf einem annähernd polaren und stark elliptischen Orbit wird der Orbiter einmal in etwa 7,5 Stunden um den Planeten kreisen und dabei seiner Oberfläche bis auf etwa 250 Kilometer nahe kommen, während der äußerste Punkt der Umlaufbahn ihn bis zu 11.500 Kilometer vom Mars entfernen wird.

Isidis Planitis, die Landestelle von Beagle 2.
(Grafik: ESA)

„Touchdown“
Man kann darüber streiten, ob die Situation von Prof. Pillinger und seinem Team nun angenehmer als die ihrer Darmstädter Kollegen ist oder nicht: Während die Missionskontrolle von Mars Express permanent über den Status der Raumsonde und den Erfolg der einzelnen Aktionen informiert wird hüllt sich Beagle 2 vom Moment der Abtrennung an in Schweigen – für nichts und niemanden ist die kleine Forschungssonde auf der letzten Etappe ihrer Reise zum Grund des Roten Planeten zu sprechen: die Funkstille ist total. Was immer zwischen dem Morgen des 19. Dezember und dem Morgen des 25. Dezember geschehen mag, die Operateure in Leicester werden es nicht erfahren.
 
Für die Beagle 2-Ingenieure mag dies eine eher unangenehme Situation sein, denn in diesen Tagen durchlebt der britische Lander die mit Abstand riskanteste Phase seiner gesamten Mission. Ob am Ende des furiosen Sturzes durch die Marsatmosphäre – abgebremst erst durch Reibung mit den dünnen Luftschichten, dann einen großen Bremsfallschirm und zuletzt eine schützende Hülle aus mehreren Airbags – eine erfolgreiche Landung steht hängt mehr als jeder andere Aspekt vom Zufall, Glück oder Schicksal ab: Schon ein an falscher Stelle liegender scharfkantiger Felsbrocken ausreichender Größe kann das gesamte Unternehmen zum Scheitern bringen. Nach so vielen Jahren der Arbeit und Anstrengung sicherlich keine wünschenswerte Perspektive, zuletzt ganz auf sein Glück vertrauen zu müssen.
 
Doch einmal unterstellt, das Beagle 2 soviel Glück wiederfährt, wie es die Initiatoren dieses kühnen Projekts verdient hätten, dann wird der Marslander am 25. Dezember um 03:54 Uhr (MEZ) auf der Planetenoberfläche landen – nur wenige Minuten, bevor Mars Express mit dem Eintritt in den Marsorbit beginnt. So schnell wie möglich wird die wie eine überdimensionierte Taschenuhr geformte Sonde ihre Hülle auseinanderklappen und die insgesamt fünf kreisrunden Solarpaneele entfalten, um die geschwächten Akkus aufzuladen. Das erste Lebenszeichen könnte um 06:15 Uhr (MEZ) mithilfe des amerikanischen Mars-Orbiters 2001 Mars Odyssey zur Erde übermittelt werden. Wenn dieser Versuch fehlschlagen sollte wird am späten Abend des ersten Weihnachtsfeiertages das britische Jodrell Bank Observatory versuchen, auf direktem Wege Signale des Landers aufzufangen.

Beagle 2 auf der Mars-Oberfläche.
(Grafik: beagle2.com)

Mars Express wird sich in den ersten Tagen nach der Landung noch nicht um Beagle 2 kümmern können, da zunächst die Umlaufbahn des Orbiters angepasst werden muss. Voraussichtlich am 6. Januar 2004 sollen erstmals Signale des Landers von Mars Express aufgefangen und zur Erde übermittelt werden. Schon kurze Zeit später wird der Orbiter dann auch hochauflösende Fotos der Landestelle aufnehmen, um die genaue Position von Beagle 2 zu lokalisieren. Der Lander wird allerdings zunächst eigene Aufnahmen machen müssen, damit die hochauflösende HRSC-Kamera der Raumsonde Beagle 2 in der mehr als 10.000 km2 großen Landezone entdecken kann: Nach Analyse von Aufnahmen des Sternenhimmels, die der Lander in den ersten Tagen anfertigen und zur Erde senden soll, wird die Landestelle auf fünf bis zehn Kilometer eingegrenzt werden können, so dass Mars Express anschließend gezielt auf Suche gehen kann.
 
Um den Jahreswechsel herum können wir dann auch die ersten Aufnahmen von Mars Express und Beagle 2 erwarten, zu dieser Zeit wird auch die Überprüfung und Kalibrierung der wissenschaftlichen Instrumente gestartet werden. Es sind also noch einige Prüfungen zu bestehen (und einige Daumen zu drücken), bevor die Wissenschaftler und Techniker Anfang nächsten Jahres endgültig aufatmen und mit der wissenschaftlichen Arbeit beginnen können. Wohl selten standen uns aufregendere Weihnachtsfeiertage bevor als in diesem Jahr.
 

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