Beobachtungen mit dem Radioteleskopverbund ALMA haben Astronomen einen bislang einmaligen Blick auf die protoplanetare Scheibe um den jungen Stern HL Tauri ermöglicht. Die auf den überaus detailreichen Aufnahmen erkennbaren Strukturen lassen vermuten, dass sich um den weniger als eine Million Jahre alten Stern bereits planetenähnliche Objekte bilden. Dies ist für die Wissenschaftler überraschend, da sich laut den derzeitigen Theorien über die Planetenentstehung um derartig junge Sterne eigentlich noch keine massereichen Objekte gebildet haben sollten.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO, Wikipedia.
Das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (kurz „ALMA“) ist das derzeit größte auf der Erde verfügbare Radioteleskop. Es handelt sich hierbei um einen aus 66 einzelnen Antennen bestehenden Teleskopverbund, welcher sich in einer Höhe von 5.100 Metern über dem Meeresspiegel auf dem Chajnantor-Hochplateau in der nordchilenischen Atacama-Wüste befindet. Im Zentrum der Anlage befindet sich eine Anordnung von 50 Antennen mit einem Durchmesser von jeweils 12 Metern, welche im Verbund wie ein einziges Teleskop agieren. Ergänzt wird die Anlage durch weitere vier Antennen mit jeweils 12 Metern Durchmesser und zwölf Antennen mit sieben Metern Durchmesser.
Die ALMA-Antennen sind beweglich und können mittels zwei spezieller Transporter so auf dem Hochplateau angeordnet werden, dass sich zwischen den Antennen Abstände bis zu 16 Kilometern ergeben. Durch die Möglichkeit solcher Abstandsänderungen wird das ALMA zu einer Art gigantischem „Zoomteleskop“.
Das ALMA ist in der Lage, das Universum bei Wellenlängen zwischen 0,3 bis 9,6 Millimetern im Millimeter- und Submillimeterbereich des elektromagnetischen Spektrums mit einer noch nie zuvor erreichten Empfindlichkeit und Auflösung zu erforschen. Der Teleskopverbund verfügt dabei über eine bis zu zehnmal bessere Auflösung als das Weltraumteleskop Hubble. Mit Hilfe dieser Anlage hoffen die Astronomen, einige der wichtigsten Fragen zur Entstehung und Entwicklung des Universums beantworten zu können.
Seit dem September 2014 beobachtet ALMA das Weltall in einer Anordnung, bei der die einzelnen Antennen bis zu 15 Kilometer voneinander entfernt platziert sind. Dabei wurde als ‚Ziel‘ für die ersten Beobachtungen im Rahmen dieser „Long-Baseline-Kampagne“ der Stern HL Tauri ausgewählt. Die im Rahmen dieser Beobachtungskampagne gewonnenen Daten lieferten den Astronomen die schärfsten Aufnahmen, welche bisher jemals im Submillimeterbereich angefertigt wurden.
Der Stern HL Tauri
Bei dem Stern HL Tauri handelt es sich um einen noch sehr jungen T-Tauri-Stern der Spektralklasse K9, welcher sich in einer Entfernung von etwa 450 Lichtjahren zu unserem Sonnensystem im Sternbild Stier (lateinischer Name „Taurus“) befindet. Die Lichtstärke und die effektive Temperatur dieses lediglich 15,1 mag hellen Sterns legen nahe, dass HL Tauri über ein Alter von nur wenigen 100.000 Jahren verfügt. Bereits seit dem Jahr 1986 ist zudem bekannt, dass der Stern HL Tauri von einer dichten Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist.
Sternentstehung und protoplanetare Scheiben
Neue Sterne wie der hier kurz beschriebene Stern HL Tauri entwickeln sich aus interstellaren Gas- und Staubwolken, welche durch gravitative Einflüsse kollabieren. Hierbei bilden sich in diesen Wolken dichte und sehr heiße Materiekonzentrationen, welche sich letztendlich im Rahmen einer stellaren Kernfusuion entzünden und zu jungen Sternen werden. Das im Rahmen dieser Sternentstehung nicht verbrauchte Material konzentriert sich zunächst in einer den Stern umgebenden protoplanetaren Scheibe.
Durch stetige Kollisionen bleiben die innerhalb dieser Scheibe befindlichen Staubteilchen letztendlich aneinander haften und ‚wachsen‘ dabei zunächst zu immer größer werdenden Klumpen von der Größe von Sandkörnern und Kieselsteinen heran. Im Verlauf eines komplexen Entstehungsprozesses können sich innerhalb einer solchen protoplanetaren Scheibe aus diesen Objekten schließlich Asteroiden, Kometen und Planeten bilden. Diese jetzt relativ massereichen Objekte reißen die Scheibe auf und erzeugen dabei in deren Inneren Bereiche mit unterschiedlicher Materiedichten, welche sich als diverse ringähnliche Strukturen und Lücken zu erkennen geben, deren äußeres Erscheinungsbild mit den Ringen des Planeten Saturn vergleichbar ist.
Beobachtung mit dem Teleskopverbund ALMA
Im Spektralbereich des sichtbaren Lichts ist auch der Stern HL Tauri hinter einer solchen protoplanetaren Scheibe verborgen. Das ALMA ist jedoch in der Lage, diesen ‚Schleier‘ aus Gas und Staubpartikeln im spektralen Millimeter- und Submillimeterbereich zu ‚durchdringen‘ und dabei die Prozesse zu beobachten, welche im Zentrum dieser Materiekonzentration stattfinden. Die jetzt angefertigten ALMA-Aufnahmen enthüllten dabei außerordentlich feine Details in der den Stern HL Tauri umgebenden protoplanetaren Scheibe, welche in dieser Form und Auflösung noch nie zuvor beobachtet werden konnten.
Auf den ALMA-Aufnahmen sind eine Reihe konzentrischer und unterschiedlich heller Ringe erkennbar, welche durch deutlich erkennbare dunkle Lücken voneinander getrennt werden. Die protoplanetare Scheibe des Sterns HL Tauri scheint somit sehr viel weiter entwickelt zu sein als die Astronomen anhand des geringen Alters dieses Systems erwartet haben.
„Diese Merkmale sind sehr wahrscheinlich das Ergebnis junger planetenartiger Körper, die in der Scheibe gebildet werden. Das ist überraschend, da solch junge Sterne eigentlich noch keine großen planetaren Begleiter haben sollten, die in der Lage sind die von uns beobachteten Strukturen zu verursachen „, so Dr. Stuartt Corder, der stellvertretender Direktor von ALMA.
„Als wir die Aufnahme zum ersten Mal sahen, waren wir geradezu sprachlos angesichts dieser unglaublichen Menge an Details. HL Tauri ist nicht mehr als eine Million Jahre alt, und trotzdem scheint seine Scheibe voll von entstehenden Planeten zu sein. Bereits diese eine Aufnahme allein wird die Theorien zur Planetenentstehung revolutionieren“, ergänzt Cathrine Vlahakis, stellvertretende ALMA-Programm-Wissenschaftlerin und leitende Programm-Wissenschaftlerin der ALMA-Long-Baseline-Beobachtungskampagne.
Die ALMA-Aufnahme deutet auch darauf hin, dass der Prozess einer Planetenentstehung eventuell schneller ablaufen könnte als bisher von den Wissenschaftlern angenommen wurde. Die Beobachtung der ersten Abschnitte der Planetenbildung um HL Tauri könnte den Astronomen zeigen, wie unser eigenes Planetensystem ausgesehen haben könnte, als es vor etwa 4,6 Milliarden Jahren entstanden ist. Die weitere Untersuchung dieser protoplanetaren Scheiben ist somit auch entscheidend für unser Verständnis von der Entstehung und der weiteren Entwicklung unseres Heimatplaneten.
Zukünftige Beobachtungen sollen noch bessere Daten liefern
„Die notwendige Logistik und Infrastruktur, um die Antennenschüsseln in einem so großem Abstand präzise zu positionieren, erfordern den Schulterschluss eines internationalen Expertenteams aus Ingenieuren und Wissenschaftlern“, so der ALMA-Direktor Pierre Cox. „Die langen Basislinien erfüllen eines von ALMAs Primärzielen und stellen damit einen eindrucksvollen technologischen, wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Meilenstein dar.“
Die jetzt mit dem ALMA angefertigte Aufnahme weist eine Auflösung von etwa 35 Millibogensekunden auf und übertrifft damit die Resultate, welche zum Beispiel mit dem Weltraumteleskop Hubble erreicht werden können. Zukünftige Beobachtungen, welche bei kürzeren Wellenlängen noch höhere Auflösungen ermöglichen werden, könnten unser Verständnis von der Entstehung und Entwicklung von Planetensystemen somit erheblich erweitern.
„Der Großteil von dem, was wir heute über die Planetenentstehung wissen, basiert auf Theorien. Für Bilder mit diesem Detailgrad wurde bis jetzt auf Computersimulationen oder künstlerische Darstellungen verwiesen. Dieses hochaufgelöste Bild von HL Tauri demonstriert, wozu ALMA in der Lage ist, wenn es in seiner größtmöglichen Konfiguration betrieben wird und läutet eine neue Ära in der Untersuchung der Stern- und Planetenentstehung ein“, schließt Tim de Zeeuw, der Generaldirektor der europäischen Südsternwarte (ESO).
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