Ein internationales Astronomenteam hat mit dem Verbundteleskop ALMA die exakten Positionen von über 100 Galaxien im frühen Universum bestimmt, in denen sich einstmals besonders viele Sterne gebildet haben.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Plack-Institut für Astronomie, ESO.
Die ertragreichsten „Ausbrüche“ von Sternentstehungen im frühen Universum konnten in weit entfernten Galaxien beobachtet werden. Dabei bildeten sich derart viele Sterne, dass diese Galaxien für einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der gesamten Energiefreisetzung aller Galaxien in der Geschichte des Universums verantwortlich sind. Die Untersuchung dieser „alten“ Galaxien ist von zentraler Bedeutung für das astrophysikalische Verständnis bezüglich der Entstehung und Weiterentwicklung von Galaxien im Laufe der Geschichte unseres Universums.
Allerdings sind diese Milliarden von Lichtjahren von unserer Heimatgalaxie entfernt gelegenen Galaxien im Normalfall hinter kosmischem Staubwolken verborgen und deshalb für „konventionelle“ Teleskope, welche ausschließlich im sichtbaren Bereich des Lichts arbeiten, nahezu unsichtbar. Erst bei Beobachtungen im Bereich der Submillimeterwellen – einer elekromagnetischen Strahlung mit Wellenlängen zwischen einigen Zehntel Millimetern und einem Millimeter – lassen sich diese sogenannten „Submillimetergalaxien“ und deren Sternentstehungsaktivität vollständig erfassen.
Bisherige Submillimeter-Beobachtungen dieser weit entfernten Objekte hatten allerdings mit einer mangelhaften Detailschärfe der dafür eingesetzten Beobachtungsinstrumente zu kämpfen. Kürzlich hat allerdings eine Forschergruppe unter der Leitung von Ian Smail von der Universität Durham/England eine umfassende und detaillierte Durchmusterung von mehr als hundert Submillimetergalaxien durchgeführt. Für die damit verbundenen Beobachtungen verwendeten die Astronomen das erst kürzlich am 13. März 2013 offiziell in Betrieb gestellte, in den chilenischen Anden befindliche Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (kurz „ALMA“).
Der ALMA-Teleskopverbund ist eine internationale astronomische Forschungseinrichtung, welche gemeinsam von europäischen, nordamerikanischen und ostasiatischen Instituten in Zusammenarbeit mit der Republik Chile getragen wird. Von europäischer Seite aus wird ALMA über die Europäische Südsternwarte (ESO) finanziert. Den nordamerikanischen Beitrag stellt die National Science Foundation (NSF) der USA in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC) und dem taiwanesischen National Science Council (NSC). Für Ostasien ist das japanische National Institute of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan zuständig. Im Betriebsmodus erreicht das ALMA ein Auflösungsvermögen, welches die Auflösung früherer Himmelsbeobachtungen um einen Faktor von mehr als 10 übersteigt.
Im Rahmen ihrer Forschungen konnten die Astronomen um Ian Smail durch die Verwendung des ALMA die Positionen von über 100 Galaxien im frühen Universum genau bestimmt, in denen besonders viele Sterne entstanden sind. ALMA war dabei in der Lage, innerhalb weniger Stunden so viele dieser Galaxien zu beobachten, wie zuvor von allen vergleichbaren Teleskopen weltweit in einem Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt aufgenommen wurden.
„Astronomen haben über ein Jahrzehnt auf Daten wie diese gewartet. Das ALMA ist so leistungsstark, dass es die Methode, mit der wir diese Galaxien beobachten, revolutioniert hat – und das obwohl das Teleskop noch gar nicht vollkommen fertiggestellt war, als die entsprechenden Beobachtungen durchgeführt wurden“, so Jacqueline Hodge vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, die Erstautorin eines Fachartikels über die neuen ALMA-Beobachtungen. Für die entsprechenden Beobachtungen wurden 15 der ALMA-Antennen so zusammengeschaltet, dass diese als ein einziges, sehr großes Teleskop agierten.
Die zuvor beste Karte dieser entfernten, staubreichen Galaxien, welche sich in einer im Sternbild Chemischer Ofen (lateinisch „Fornax“) gelegenen Himmelsregion namens „Extended Chandra Deep Field South“ befinden, stammte vom Atacama Pathfinder Experiment (kurz „APEX“), welches von der ESO betrieben wird. Die APEX-Karte erfasst ein Gebiet von etwa der Größe des Vollmondes am Himmel und zeigt 126 weit entfernter Galaxien. Allerdings erschien auf den APEX-Bildern jeder dort erkennbare „Ausbruch einer Sternentstehung“ als ein relativ verschwommener Fleck, welcher dabei nicht mit vollständiger Sicherheit einer bestimmten Galaxie zugeordnet werden konnte. Ohne definitiv zu wissen, zu welchen Galaxie ein bestimmtes Sternentstehungsgebiet gehört, waren die Astronomen bisher bei der Erforschung der Sternentstehung im frühen Universum jedoch stark eingeschränkt.
Die Antennenschüssel des APEX-Teleskops verfügt über einen Durchmesser von 12 Metern. Der Teleskopverbund ALMA nutzt allerdings gleich mehrere APEX-ähnliche Antennenschüsseln, welche über weite Strecken verteilt sind. Die Signale all dieser Antennen werden im Rahmen einer Messung vereint, wodurch die Wissenschaftler in Bezug auf die Detailschärfe der Aufnahmen effektiv ein Teleskop erhalten, welches so groß wie die gesamte Antennenanlage ist. Die neuen ALMA-Beobachtungen erweitern somit die zuvor gewonnenen hochaufgelösten Aufnahmen dieser Region im Millimeter-/Sub-Millimeterbereich des elektromagnetischen Spektrums und ergänzen so die früheren Beobachtungen.
Mit einer im Vergleich zum APEX dreimal höheren Empfindlichkeit benötigten die eingesetzten Antennen des ALMA lediglich zwei Minuten pro Galaxie, um jede von ihnen innerhalb eines winzigen Gebietes genau zu lokalisieren, welches jetzt jeweils etwa 200 mal kleiner als die noch relativ weiträumigen „Flecken“ der APEX-Messungen ist. Das ALMA ist so viel empfindlicher als andere Teleskope seiner Art, dass es innerhalb weniger Stunden die Gesamtzahl vergleichbarer Beobachtungen, welche jemals durchgeführt wurden, verdoppelte.
Die beteiligten Astronomen konnten dabei nicht nur eindeutig bestimmen, welche der Galaxien aktive Sternentstehungsregionen aufweisen, sondern stellten in mehr als der Hälfte der Fälle fest, dass mehrere Galaxien, in denen sich Sternentstehungsgebiete befinden, in früheren Beobachtungen zu einem einzigen Fleck „vermischt“ wurden.
„Bisher sah es so aus, als würden sich in den hellsten dieser Galaxien mehr als tausend Mal schneller neue Sterne bilden als in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Bei solchen Sternentstehungsraten wären die betreffenden Galaxien Gefahr gelaufen, sich regelrecht auseinander zu sprengen. Jetzt haben die ALMA-Bilder dort, wo wir einzelne, hyperaktive Galaxien vermutet hatten, jeweils gleich mehrere kleinere Galaxien gezeigt – jede mit merklich moderaterer Sternentstehungsaktivität“, so Alexander Karim von der Universität Durham, ein weiteres Mitglied des Teams und Erstautor einer zweiten, begleitenden Veröffentlichung zu dieser Studie.
Die Ergebnisse bilden den ersten statistisch zuverlässlichen Katalog von staubigen Galaxien mit Sternentstehung im frühen Universum und stellen eine solide Grundlage für weitere Untersuchungen der Eigenschaften dieser Galaxien bei anderen Wellenlängen dar, ohne dabei Fehlinterpretationen aufgrund von nicht aufgelösten Abbildungen der Galaxien zu riskieren.
Beobachtungen bei einer noch höheren Auflösung, bei denen dann sämtliche 66 Antennen des inzwischen fertiggestellten ALMA-Antennenfeldes zum Einsatz kommen, versprechen noch bessere Resultate. Im Rahmen zukünftiger Studien sollten Antworten auf die Frage gefunden werden, wie Submillimetergalaxien eigentlich entstehen. In dem aus heutiger Sicht plausibelsten Szenario sind sie das Ergebnis der Kollision großer Galaxien. Die gegenseitige Gravitationsanziehung während der Kollision führt dabei zu einer Phase intensiver Sternentstehung. Hochauflösende Aufnahmen könnten Aufschlüsse über die Form der Galaxien geben und damit Spuren solcher Galaxienkollisionen sichtbar machen.
Doch trotz des hervorragenden Auflösungsvermögens von ALMA und dessen konkurrenzloser Empfindlichkeit kommt Teleskopen wie APEX immer noch eine wichtige Rolle zu. “ Das APEX kann ein größeres Gebiet am Himmel schneller durchsuchen als ALMA und ist somit ideal um solche Galaxien zu entdecken. Wenn wir dann erst einmal wissen, wo genau wir suchen müssen, dann können wir diese mithilfe von ALMA genau lokalisieren“, so Ian Smail.
Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse von Jacqueline Hodge et al. erscheinen demnächst unter dem Titel „An ALMA Survey of Submillimeter Galaxies in the Extended Chandra Deep Field South: Source Catalog and Multiplicity“ in der Fachzeitschrift „Astrophysical Journal“. Eine begleitende Veröffentlichung namens „An ALMA survey of submillimetre galaxies in the Extended Chandra Deep Field South: High resolution 870 μm source counts“ von Alexander Karim et al. über die Multiplizität der Quellen wird in den „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ publiziert.
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Fachartikel von Jacqueline A. Hodge et al.: