165 Tage war der Baden-Württemberger Geophysiker auf der Internationalen Raumstation. Vor zwei Wochen, am 10. November 2014, landete er an Bord einer russischen Sojus-Kapsel sicher in der kasachischen Steppe. Seine Mission war voller spannender Experimente und Premieren – Zeit, ein Resümee zu ziehen.
Ein Beitrag von Jonathan Hofinger, Tobias Willerding und Ian Benecken. Quelle: ESA, DLR.
„Blue Dot“ hieß die Mission des ESA-Astronauten, denn aus dem All gesehen ist die Erde genau das – ein kleiner blauer Punkt, das Raumschiff der Menschheit. Gerst nimmt mit diesem Namen Bezug auf das berühmte Bild „Pale Blue Dot“, geschossen von der Raumsonde Vogager 1 im Jahre 1990, auf dem die Erde nur als kleiner hellblauer Punkt erkennbar ist. Dieses Bild zeigt, wie klein und zerbrechlich unser Heimatplanet nach kosmischen Maßstäben ist, daher ist es die Aufgabe der Menschheit, diesen zu schützen und zu bewahren. Die Missionsinhalte sind daher auch darauf ausgerichtet, das Leben auf der Erde zu verbessern: Viele Experimente aus Physik, Medizin oder Biologie haben die Zielsetzung, den Menschen und seine Umgebung besser zu verstehen und in der Folge auch Anwendung am Boden zu finden.
Am 28. Mai 2014 startete Alexander Gerst zusammen mit seinen Mannschaftskollegen Maxim Surajew (Russland) und Reid Wiseman (USA) mit dem russischen Raumschiff Sojus-TMA-13M vom Kosmodrom Baikonur. 6 Stunden später konnte die Kapsel am Modul „Rasswet“ (amerikanische Bezeichung: Mini Research Module 1) der ISS andocken und die drei neuen Mannschaftsmitglieder konnten vom Kommandanten Steven Swanson (USA) begrüßt werden, welcher das Kommando am 10. September 2014 an Surajew übergab. Zwei Wochen später erhielt die verbleibende Crew wiederum Verstärkung, unter anderem durch den derzeitigen Kommandanten der ISS, Barry Wilmore (USA). Am 10. November 2014 dockte die Sojus-Kapsel mit Surajew, Wiseman und Gerst an Bord ab, die Landung erfolgte planmäßig in der Steppe Kasachstans.
Die Hauptaufgabe der Internationalen Raumstation ist die Forschung auf verschiedensten Gebieten. Während seinem sechsmonatigen Aufenthalt im Orbit hat Alexander Gerst mehr als 100 verschiedene Experimente durchgeführt, einen Großteil davon im europäischen Weltraumlabor Columbus. Sie umfassten Medizin, Biologie, Werkstoffkunde, Physik und Chemie. Darüber hinaus konnte Gerst neu entwickelte Technologien testen, unter anderem in den Bereichen Fernsteuerung, Mensch-Maschine-Interaktion, Kameratechnik, 3D-Sensortechnik und Verkehrsüberwachung.
Ein Großteil der von Gerst durchgeführten Forschungen bezog sich jedoch auf den Menschen und seine Gesundheit. Die ISS befindet sich in einer lebensfeindlichen Umgebung, die nur mit großem technischem Aufwand für Menschen bewohnbar gemacht werden kann. Die fehlende Gravitation stellt eine zusätzliche Belastung dar, zudem erlebt ein Astronaut dort 16 Sonnenauf- und –untergänge am Tag. Deshalb führte Gerst mehrere Experimente zu diesem Thema durch, so hat er kontinuierlich Blutproben genommen, seine Körpertemperatur und Atmung gemessen und mehrere Ultraschall-Tests während seines Aufenthalts auf dem Außenposten der Menschheit durchgeführt. Von den Ergebnissen dieser Experimente sollen aber nicht nur Astronauten profitieren, sondern z.B. auch Menschen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten (Notfallkräfte, Ärzte) sowie Therapien gegen Knorpelabbau entwickelt werden.
Ein weiteres Highlight in der Forschung während der Mission bot der sogenannte Elektromagnetische Levitator (EML). Levitation beschreibt allgemein, ein Objekt berührungslos schweben zu lassen. Auf der Erde kann man dies zwar durch elektromagnetische Felder erreichen, für materialwissenschaftliche Untersuchungen sorgt die Schwerkraft im Inneren des Objekts jedoch für einen großen Störfaktor. Auf der ISS kann dieser Faktor minimiert werden. Das von Gerst installierte Gerät arbeitet wie folgt: Eine kleine metallische Probe wird durch hochfrequente Wechselfelder in Position gehalten, dieses induziert gleichzeitig in der Probe sogenannte Wirbelströme. Dadurch erwärmt sich die Probe bis auf 2.000 °C. An diesem Punkt können durch hochentwickelte Sensoren, darunter eine Zeitlupenkamera mit Aufnahmegeschwindigkeiten von 30.000 Bildern pro Sekunde, genauestens Eigenschaften des flüssigen Metalls aufgezeichnet werden. Durch die Reduzierung der zugeführten Energie kühlt sich die Probe ab und es kann der Prozess der Erstarrung beobachtet werden. Man erhofft sich hiervon Erkenntnisse über Materialeigenschaften wie Oberflächenspannung und Fließverhalten sowie ein genaueres Verständnis der Prozesse bei der Erstarrung – mit dem Ziel, leistungsfähigere Materialien für den Einsatz auf der Erde zu entwickeln. Alexander Gerst hat das 350 kg schwere Labor im europäischen Forschungsmodul Columbus eingebaut und bereits erste Experimente mit mitgelieferten Proben vorgenommen. Alleine im kommenden Jahr sollen 550 Experimente von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt mit dem elektromagnetischen Levitator durchgeführt werden. Zukünftig soll jedes Jahr ein Behälter mit 18 Proben zur internationalen Raumstation gebracht werden, welche nach den Versuchen auch wieder zur Erde gebracht werden.
Beim Einbau musste Gerst genau wie das Team am Boden großen Erfindungsreichtum beweisen: Als die Kamera eingebaut werden sollte, passte ein Sicherungsbolzen nicht. Zwar sind für Forschungszwecke Werkzeuge wie Feile und Säge auf der Raumstation vorhanden, doch die erzeugten Späne würden unkontrolliert durch die Luft fliegen und von den Astronauten eingeatmet werden. Die Lösung für dieses Problem bestand in Rasierschaum: Gerst schmierte die Stelle ein, anschließend ging das Sägen problemlos – auch der restliche Aufbau des EMLs stellte dann kein Problem dar. Damit ist der Astronaut seinem offiziellen Rang auf der ISS – Bordingenieur – definitiv gerecht geworden.
Zudem ist Alexander Gerst wie kaum ein anderer Astronaut vor ihm in den sozialen Medien aktiv gewesen. Auf Facebook, Twitter, YouTube und seinem Blog bei der ESA teilte er unter dem Namen „@astro_alex“ täglich Bilder, Fotos und Statusnachrichten über seinen Aufenthalt. Einen Großteil der Bilder nahm er von der Aussichtsplattform „Cupola“ auf. Dabei trat auch bei ihm der sogenannte „Overview Effect“ auf, eine Erfahrung, die viele Astronauten erleben, wenn sie zum ersten Mal unseren Planeten aus dem All sehen. In der Folge ergibt sich daraus ein gesteigertes Gefühl der Verantwortung für die Umwelt. Gerst schrieb unter anderem auf Facebook: „Von hier oben ist es überraschend eindeutig, dass unsere Welt ein einziges zusammenhängendes System ist.“. Durch seine mediale Präsenz konnte er viele Menschen für seine Arbeit und die ISS begeistern, was ihm hoch anzurechnen ist; so hatte er allein auf Twitter am Ende seiner Mission 190.000 Follower. Die meisten seiner Beiträge konnte er jedoch nicht selbst posten, da auf der ISS die Internetverbindung äußerst instabil ist. Aus diesem Grund wurde er auch bei diesen Aufgaben von einem Team am Boden unterstützt: er verfasste die Nachrichten per E-Mail, sendete sie ans Bodenkontrollteam und ließ die Nachrichten hochladen.
Am 7. Oktober 2014 konnte Alexander Gerst zusammen mit Reid Wiseman auch einen sechs Stunden und 13 Minuten dauernden Außenbordeinsatz durchführen. Ihre Aufgabe bestand darin, eine defekte Pumpe aus dem Kühlsystem der Raumstation, welche bereits vor einiger Zeit ausgetauscht werden musste, an einen endgültigen Lagerplatz zu verfrachten, an dem sie keine anderen Funktionen der Raumstation behindert. Dazu befestigte sich Gerst an einem Roboterarm, welcher von seinen Kollegen Barry Wilmore (USA) aus dem Inneren der Station ferngesteuert wurde, und hatte so beide Hände für die Arbeit am Modul frei. Anschließend wurde er mit dem Modul in der Hand einmal um die Station herumgefahren, um es abschließend zu verstauen. Eine weitere Aufgabe des Einsatzes war, ein Backup-Modul zur Stromversorgung des Mobile Transporters zu installieren: Entlang der tragenden Hauptstruktur der ISS sind Schienen verlegt, auf denen dieses Modul fahren kann; unter anderem kann man an ihm auch den Roboterarm „Canadarm2“ befestigen. Weiterhin wurde an einer Videokamera eine defekte Beleuchtungseinheit ausgetauscht. Der Außenbordeinsatz verlangte nicht nur eine langwierige Vorausplanung vom Bodenteam, auch für die Astronauten ist es kein Weltraum-„Spaziergang“: Da im Raumanzug nur ca. 1/3 des Luftdrucks der ISS vorhanden sind, wurde das ISLE-Protokoll ausgeführt, um den Stickstoffgehalt seines Blutes zu reduzieren, dieser würde andernfalls bei solch geringem Druck ausperlen und zu schweren inneren Verletzungen führen. Dazu musste Gerst mehrere Stunden vor dem Ausstieg im Anzug verbringen, reinen Sauerstoff einatmen und sich gleichzeitig sportlich betätigen. Ein weiteres Highlight war seine Mitarbeit beim Andocken des Cygnus-Raumfrachters im Juli, dieser war einer von fünf während seines Aufenthalts angedockten Frachtern. Im Oktober 2014 hätte ein weiterer Cygnus-Raumfrachter andocken sollen, dessen Antares-Trägerrakete explodierte jedoch beim Start.
Nach seiner Landung am 10. November 2014 flog Gerst nach kurzem Zwischenstopp in Schottland zurück nach Köln, wo er im Moment untersucht wird und sich von der körperlichen Anstrengung erholt. Schon bei der Landung überraschte er Mediziner und Kollegen mit seinem erstaunlich guten Gesundheitszustand: Bereits nach kurzer Zeit konnte er selbstständig gehen und machte auch sonst einen gesunden Eindruck. Der Deutsche ist der erste ESA-Astronaut, welcher die Rehabilitation in Deutschland und nicht wie sonst für ESA-Astronauten üblich in Houston (USA) verbringt. Hierfür nutzt er das erst 2013 eröffnete Forschungslabor „:envihab“ des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin beim DLR in Köln. Von dort aus wünschte er auch seiner italienischen Kollegin Samantha Cristoforetti alles Gute für ihren Aufenthalt auf der internationalen Raumstation, diese ist dort mittlerweile wohlbehalten angekommen. In den kommenden Monaten wird Gerst neben wissenschaftlichen Nachbereitungen, der Rehabilitation und Zeit mit seiner Familie vor allem seine Erlebnisse in den sozialen Netzwerken teilen. Schließlich konnte er nur knapp die Hälfte aller Bilder, die er während des Fluges aufgenommen hatte, hochladen.
Alexander Gerst war der elfte Deutsche im All, zuletzt war Hans Schlegel im Jahr 2008 für 12 Tage auf der internationalen Raumstation. Da er auch der einzige aktive deutsche Astronaut der ESA ist, bleibt zu hoffen, dass ihm demnächst eine weitere Mission zugeteilt wird. Bis 2016 ist jedoch kein weiterer Flug mit deutscher Beteiligung geplant. Der sympathische Geophysiker ist erst mal froh, wieder gesund zurück zu sein: ein paar Stunden nach der Landung twitterte er „Die Erde riecht großartig. Und mir ist zum ersten Mal das Wort ‚Heimatplanet‘ wirklich klar geworden.“
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