Albert Einstein und der Mond

Das Raumfahrtjahr 2019 steht ganz im Licht des 50. Jahrestages der ersten bemannten Mondlandung. Doch ein zweites Ereignis, bei dem der Erdbegleiter ebenfalls eine bedeutsame Rolle am Firmament spielte, erregte ein weiteres halbes Jahrhundert zuvor weltweit vor allem in den Kreisen der Forschung enorme Aufmerksamkeit … Eine Pressemitteilung des DLR.

Quelle: DLR.

Am 29. Mai 2019 jährt sich zum einhundertsten Mal ein Tag, der in die Geschichte der Wissenschaft wie kaum ein anderer eingegangen ist. An jenem Donnerstag gelang es zwei englischen Forschergruppen unter Leitung der Astronomen Arthur Stanley Eddington (1882–1944) und Andrew Claude de la Cherois Crommelin (1865–1939) anhand einer totalen Sonnenfinsternis nachzuweisen, dass die Sonne mit ihrer Masse tatsächlich den umgebenden Raum und dadurch den Weg von Lichtstrahlen krümmt. „Genau so, wie es vier Jahre zuvor Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie qualitativ und quantitativ vorhergesagt hatte“, erklärt der Astronom und Planetenforscher Dr. Manfred Gaida vom Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Dass die Masse der Sonne tatsächlich und nachweisbar den Raum verbiegt und ihre Anziehung keine Kraft, sondern eine Eigenschaft des Raumes selber ist, war eine völlig neue, befremdliche Vorstellung von unserer Welt, die jenseits jeglicher Alltagserfahrung lag“, so der DLR-Wissenschaftler weiter.

DLR (CC-BY 3.0)
Die Sonne krümmt mit ihrer Masse tatsächlich den umgebenden Raum und dadurch den Weg von Lichtstrahlen. Albert Einstein hatte dies in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt.
(Bild: DLR (CC-BY 3.0))

Newton glaubte an die Ablenkung von Licht durch die Anziehungskraft von Massen
Dass Lichtstrahlen beziehungsweise Lichtteilchen in der Nähe von Massen abgelenkt werden, vermutete schon gut 200 Jahre zuvor der große Physiker Isaac Newton (1643–1727), als er im Jahre 1704 im dritten Band seines Werkes „Opticks“ dem Leser die fiktive Frage stellte, ob Körper nicht durch ihre Anziehungskraft auf Lichtteilchen wirken und sie demzufolge ablenken – und das umso stärker, je geringer der gegenseitige Abstand ist. Nachweisen ließ sich allerdings diese kühne Vermutung Newtons nicht, und es dauerte weitere hundert Jahre, bis 1801 der Münchner Astronom Johann Georg von Soldner (1776–1833) erstmals einen Wert für diese Newtonsche Lichtablenkung am Sonnenrand publizierte: nur 0,84 Bogensekunden ‒ entsprechend einer Strecke von nur zwei Kilometern auf der Mondoberfläche aus Erddistanz – sollte sie betragen, ein Wert, der damals unterhalb der Nachweisgrenze lag.

So brauchte es weitere rund 100 Jahre, bis Albert Einstein (1879–1955) darüber nachdachte, wie sich die geometrische Optik mit der Gravitationstheorie verknüpfen lässt. Im Juni 1911 schrieb er in den „Annalen der Physik“: „Es wäre dringend zu wünschen, daß sich Astronomen der hier aufgerollten Frage annähmen, auch wenn die im vorigen gegebenen Überlegungen ungenügend fundiert oder gar abenteuerlich erscheinen sollten. Denn abgesehen von jeder Theorie muß man sich fragen, ob mit den heutigen Mitteln ein Einfluß der Gravitationsfelder auf die Ausbreitung des Lichtes sich konstatieren läßt.“ Und er selber berechnete auch den Wert für die Ablenkung quantitativ zu 0,83 Bogensekunden, der nahezu mit dem Wert Soldners übereinstimmte, dem jedoch anders als bei diesem das Relativitäts- und Äquivalenzprinzip zugrunde lag und nicht bloß die Anziehungskraft einer Masse.

Lichtstarke Teleskope eröffnen die Möglichkeit eines Nachweises
Anfang des 20. Jahrhunderts war die astronomische Messtechnik immerhin soweit fortgeschritten, dass es realistisch schien, einen winzigen Ablenkungseffekt von knapp einer Bogensekunde auf Fotoplatten nachweisen zu können. Mit lichtstarken Teleskopen war man auch in der Lage, helle Sterne am Tageshimmel zu sehen, doch solche Beobachtungen wurden als Nachweismöglichkeit wegen der störenden Nebeneffekte bald verworfen. Die Beobachtung von totalen Sonnenfinsternissen schien hier erfolgversprechender. Bei diesen Ereignissen dunkelt der Mond die Sonnenscheibe minutenlang völlig ab, und Fixsterne in unmittelbarer Nähe der vom Mond bedeckten Sonne leuchten auf. Einstein drängte den mit ihm befreundeten Berliner Astronomen Erwin Finlay-Freundlich den späteren Initiator des Potsdamer Einsteinturms, eine solche Überprüfung durchzuführen. Doch Freundlichs Unternehmung in Russland kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs missglückte, ebenso wie eine Expedition des Amerikaners William Wallace Campbell (1862-1938). Der eine wurde auf der Krim als Feind inhaftiert, der andere hatte südlich von Kiew schlechtes Wetter.

Letztlich erwiesen sich die misslungenen Expeditionen auch für Einstein als vorteilhaft. Denn in seinen Überlegungen steckte noch ein Fehler, der zu einer nur halb so großen Ablenkung führte, als sie in Wirklichkeit war. Hätte man 1914 den wahren Naturwert gemessen, wäre Einstein selber verwundert gewesen und seine kühne Arbeit von seinen Kollegen möglicherweise als Irrtum eingeschätzt worden. Erst im Zuge seiner Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie im Jahre 1915 quantifizierte er die Ablenkung exakt auf 1,75 Bogensekunden am Sonnenrand. Kurz nachdem Albert Einstein im November 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie dann in den Annalen der Physik in deutscher Sprache veröffentlicht hatte, widmete sich der niederländische Astronom Willem de Sitter (1872–1934) in einer dreiteiligen englischsprachigen Arbeit den astronomischen Konsequenzen der Einsteinschen Gravitationstheorie. Diese Arbeit bestärkte die englischen Astronomen Arthur Eddington und Frank Dyson (1868–1939) in ihrem Interesse an Einsteins Theorie, die es anhand von experimentellen Messungen zu bestätigen oder zu verwerfen galt. Darunter auch die obskure Lichtablenkung, bei der die Sterne, bezogen auf die Position des Sonnenrandes, tangential um 1,75 Bogensekunden weiter entfernt erscheinen sollten im Vergleich zu ihrer nächtlichen Position in einem Himmelsfeld ohne Sonne.

Royal Science Museum London
Beobachtungsstation Sobral Brasilien
(Bild: Royal Science Museum London)

Zwei britische Expeditionen machen sich auf den Weg
Nachdem ein zweiter Versuch Campbells im Juni 1918 in den USA fehlgeschlagen war, kam die Stunde der englischen Astronomen. Frank Dyson war hierbei die treibende Kraft, Eddington als führenden Theoretiker für diese besondere Aufgabe vor den Kriegswirren abzuschirmen und zwei Expeditionen zu einer fast sieben Minuten dauernden totalen Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 vorzubereiten. Diese sollte sich idealerweise nahe eines Haufens hellerer Sterne (Hyaden) ereignen. Die beiden Expeditionen sollten zeigen, wer Recht hatte: Einstein oder Newton oder keiner von beiden. Immerhin ließ sich mit Einsteins Theorie bereits eine bis dahin unverstandene kleine Winkeldifferenz erklären, die man bei der Periheldrehung des Planten Merkur, einer fortschreitenden Drehung seiner Bahnellipse, festgestellt hatte.

DLR (CC-BY 3.0)
Am 29. Mai 1919 gelang mit Hilfe einer totalen Sonnenfinsternis der Nachweis, dass die Lichtablenkung am Sonnenrand tatsächlich 1,75 Bogensekunden beträgt, so wie es Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hatte. Der Astronom Johann Georg von Soldner hatte 1801 einen Wert von 0,84 Bogensekunden ermittelt, der auf Isaac Newtons Gravitationstheorie beruhte.
(Bild: DLR (CC-BY 3.0))

Am 8. März stachen beide Expeditionsteams von Liverpool aus mit dem Ziel Madeira in See, wo sich ihre Wege trennten. Während Andrew Crommelin und seine Leute weiter nach Sobral in Brasilien reisten, steuerte Eddington mit seinem Team die portugiesische Insel Príncipe im westafrikanischen Golf von Guinea als Ziel an, die sie am 23. April erreichten. Nachdem die Beobachtungsinstrumente ausgepackt, eingerichtet, justiert und getestet waren, konnte die erwartete Sonnenfinsternis am 29. Mai beginnen. Die wissenschaftliche Ausbeute beider Expeditionen war allerdings recht mager: Den Beobachtern in Sobral gelang es während der Finsternis, acht brauchbare Fotoplatten zu belichten, während Eddington wetterbedingt nur zwei weiter verwendbare Platten (von insgesamt 16) nach England zurückbringen und mit „sonnenfreien“ Aufnahmen desselben Himmelsfeldes vergleichen konnte. Die Auswertung beider Expeditionen ergab für die Beobachtungen in Sobral eine Ablenkung von 1,98 ± 0,16 Bogensekunden und für die auf Príncipe 1,61 ± 0,30 Bogensekunden. Damit war Einstein bestätigt. Die Ergebnisse wurden ‒ gegen einigen Widerstand der amerikanischen Astronomen ‒ am 6. November desselben Jahres von Dyson, Eddington und Davidson in den „Philosophical Transactions of the Royal Society of London“ veröffentlicht. Das Resultat schlug ein wie ein Blitz und Albert Einstein wurde über Nacht weltberühmt.

Leiden Archives (CC BY-SA 3.0)
Albert Einstein (hinten links) mit seinen Kollegen Arthur Eddington (vorne links), Paul Ehrenfest (hinten Mitte), Willem de Sitter (hinten rechts) und Henrik A. Lorentz (vorne rechts) 1923 im Observatorium in Leiden.
(Bild: Leiden Archives (CC BY-SA 3.0))

Ultrapräzise Messungen bestätigen Einsteins Vorhersagen immer wieder aufs Neue
Nur wenige werden allerdings Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und deren Bedeutung für unser Weltbild damals richtig verstanden haben ‒ eine verblüffend exakte, in strenger mathematischer Sprache gefasste Theorie, deren Vorhersagen auch heutzutage anhand zahlreicher ultrapräziser Messungen und aufsehenerregender Beobachtungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Schwarzen Löchern, immer wieder aufs Neue bestätigt werden. Beispiele dafür sind Messungen der Cassini- und der MICROSCOPE-Mission.

Am 29. Mai wird die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) im Technikmuseum Speyer in Anwesenheit des Apollo-16-Astronauten Charles Duke, der am 20. Juli 1969 die Kommunikation mit der Mondfähre von Apollo 11 während der Ladung geführt hatte, der ersten bemannten Mondlandung vor 50 Jahren gedenken. Erinnern sollte man sich dann auch an jenen 29. Mai 1919, der vor 100 Jahren dank der „Ausschaltung“ des Sonnenlichts durch unseren Erdbegleiter ebenfalls Weltgeschichte schrieb.

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