„… es sieht wirklich gut aus. Wir machen Fortschritte, aber es ist eine gewaltige Aufgabe. Sie fordert täglich unsere volle Aufmerksamkeit…“
Autor: Lutz Growalt.
3. NASA Pressekonferenz, 03.02.03, JSC, 22:30 MEZ
Ron Dittemore (Shuttle Program Manager)
Informationen zu den ersten beiden Pressekonferenzen der NASA nach dem Absturz finden Sie hier.
„… es sieht wirklich gut aus. Wir machen Fortschritte, aber es ist eine gewaltige Aufgabe. Sie fordert täglich unsere volle Aufmerksamkeit. Wir arbeiten auf vielen Gebieten immer noch 24 Stunden am Tag, sammeln Informationen, gehen unsere technischen Analysen durch und wir planen für die Zukunft, für die notwendigen Schritte in den kommenden Tagen und Wochen. Die Zuordnung der aufgefundenen Teile ist sehr zweitaufwendig. Es ist schwierig, aber als wir uns heute mit unseren Außenteams zusammensetzten, stellte sich heraus, daß das Aufsammeln und der Transport zu den Sammelstellen langsam Fahrt aufnimmt. Ich gehe davon aus, daß dies in den kommenden Tagen noch steigern wird. Bisher haben wir noch keine Gegenstände bergen können, die von ausnehmender Bedeutung wären. Trotzdem haben wir ein Verfahren in Gang gesetzt, bei dem einzelne Fundstücke markiert und unseren Ingenieuren zur Begutachtung vorgelegt werden. (…)
[Neue Erkenntnisse]
Wenden wir uns nun den technischen Details und den Änderungen gegenüber dem Status von gestern zu. Ich werde nur auf die neu hinzugekommenen Informationen eingehen.
– Um 07:52 CT [14:52 MEZ] – ich glaube, ich sagte gestern 07:53, ich gehe also eine Minute zurück – erkannten wir, daß drei Temperaturen in den Bremsleitungen des linken Hauptfahrwerks einen ungewöhnlichen Anstieg zeigten. Dies war das erste Auftreten eines signifikanten, die Erwärmung betreffenden Vorgangs im Schacht des linken Hauptfahrwerks.
– Um 07:53 CT [14:53 MEZ], während wir über Kalifornien hinwegflogen, erkannten wir, daß eine vierte Leitung, am Antrieb der Strebe des Hauptfahrwerkbeins, einen signifikanten Temperaturanstieg verzeichnete. Gestern gab ich dafür einen Anstieg um 20 bis 30 Grad binnen fünf Minuten an. Heute gehen wir eher von einer Größenordnung des Anstiegs von 30 bis 40 Grad aus.
– Um 07:55 CT [14:55 MEZ] wurden aus einer fünften Leitung im Bereich des linken Hauptfahrwerks steigende Temperaturen gemeldet.
– Um 07: 57 CT [14:57], als wir Arizona/New Mexico waren fielen die Temperaturen oberen und unteren Temperaturen in der Außenhaut der linken Tragfläche unter den Meßbereich.
– Um 07:59 [14:59 MEZ], über dem westlichen Texas, als – wie ich gestern ausführlich erklärte – das automatische Flugkontrollsystem gegen den aufgetretenen, zusätzlichen Luftwiderstand gegensteuerte, wurden nach unseren derzeitigen Erkenntnissen zusätzlich zu den Luftrudern auch die Lagekontrolldüsen für die Gierachse [Richtung links/rechts] aktiviert. Zwei der insgesamt vier Triebwerke wurden gezündet, die Düsen arbeiteten für eineinhalb Sekunden. Dieser zusätzliche Impuls unterstützte die Steuerruder bei der Korrektur des – wie wir annehmen – aufgebauten Luftwiderstands. Obwohl das automatische Kontrollsystem, wie ich gestern sagte, durchaus in der Lage ist, Abweichungen in der vorliegenden Form zu korrigieren, haben wir uns der Untersuchung der Reaktion der Automatik zugewendet. Dabei interessiert uns allerdings nicht so sehr der absolute Betrag des Gegensteuerns, sondern die Änderungsrate. Die Steuerruder taten was sie sollten, um den Luftwiderstand auf der linken Seite auszugleichen, die rechten Gierdüsen mußten zugeschaltet werden, um die aerodynamischen Steuerflächen zu unterstützen und es hat den Anschein, als hätten wir Boden verloren, was die Wenderate anbelangt.
Kurz nach diesem Punkt verloren wir die Verbindungen zum Orbiter und seiner Besatzung.
[32 Sekunden zusätzliche Daten, neuer Stand]
Wir suchen immer noch nach weiteren Informationen. Ich sprach gestern die zusätzlichen 32 Sekunden an. Die Rekonstruktion der Daten hat sich als nicht so einfach herausgestellt, wie wir zunächst dachten und so wird es uns einen weiteren Tag kosten, an diese Information heranzukommen und festzustellen, ob diese Daten für uns von Nutzen sind. Wir werden zu diesem Zweck nach White Sands fahren. Dort ist die Station, in der die Daten des Orbiters empfangen wurden. Wir werden direkt mit den Anlagen in White Sands arbeiten und sehen, ob wir die Daten herauslösen können. Diese Bemühungen laufen also weiter.
[Bedeutung der Temperaturzunahme]
Sie haben sich für die Temperaturen im Fahrwerksschacht interessiert. Ich möchte hier vor Schlußfolgerungen warnen. Eine Erwärmung um 30 bis 40 Grad innerhalb von fünf Minuten innerhalb des Fahrwerkschachts ist kein Hinweis darauf, daß in der Struktur etwas vor sich geht. Die Außentemperatur liegt bei 2.000 Grad. Eine Erwärmung um 30 bis 40 Grad im Schacht ist daher nicht unbedingt ein Hinweis auf einen thermalen „Ausreißer“.
Das weißt auf etwas anderes hin. Sie erinnern sich sicher, daß gestern von einer Erwärmung der Außenseite, oberhalb der linken Tragfläche die Rede war. Ich nannte ihnen eine Erwärmung von 60 Grad in fünf Minuten. Aber ein Delta … eine Veränderung um 60 Grad bedeutet, nochmal, kein strukturelles Problem. Obwohl das mit Sicherheit für uns von Interesse ist, suchen wir doch in der Hauptsache nach dem Grund für diese Erwärmung. Angesichts einer Temperatur von 2.000 Grad an der Vorderkante der Tragfläche wollen uns die 60 Grad Zunahme an der Hinterkante mit Sicherheit etwas sagen – wir versuchen herauszufinden, was. Hatten wir irgendeine Art Beschädigung im Flügel, so würden die Sektionen um Fahrwerk und linken Außenrumpf nur einen allgemeinen Anstieg der Temperaturen widerspiegeln, wären aber nicht der Ort einer Beschädigung. Das versuchen wir herauszubekommen. (…)
Nochmals zur Erinnerung: wird befinden uns in der Frühphase der Untersuchung, wir arbeiten uns noch durch die Daten und dies ist der fließende Aspekt dieses Geschäfts. Seien Sie also vorsichtig mit Schlußfolgerungen, wir versuchen selbst auch, vorsichtig zu sein.
[Analyse der Kacheln des Hitzeschilds]
Ich weiß, daß es dazu viele offene Fragen gibt, daher werde ich Ihnen die Zusammenhänge mit einigem Detail darstellen. Zunächst möchte ich einige Informationen über den zeitlichen Ablauf der Prozesse nachreichen, die zu unserer Schlußfolgerung führten, daß dies kein Problem darstellen wird. Der Start war am 16. Januar, die erste Sichtung des Startfilms erfolgte am folgenden Tag, dem 17. Januar. Die erste Besprechung der Ingenieure fand am 20. Januar statt, wir berichteten am 21. an die zuständige Gruppe zur Einschätzung der Gefährlichkeit von Trümmerstücken [„Debris Assesment Team“; DIT].
[Untersuchung nach dem Start]
Das heißt also, daß die Ingenieure sich an die Arbeit machten, untersuchten, was für eine Art Trümmer vorlag und sie verbrachten einen Tag mit der Untersuchung und verschafften sich die Informationen, die sie für ihre Analysen brauchten. Am 21. trugen sie ihre Analysen dann zum DIT. Am 22. Januar erfolgte eine weitere Analyse, am 23. und 24. Januar eine Abschlußrevision, am 24. Januar auch der Bericht an das Missions-Management und nochmals am 27. Januar. Anläßlich der beiden Berichte an das Missions-Management lautete in beiden Fällen die Schlußfolgerung: das Stück, das den Orbiter traf, bedeutet keine Gefahr für die Sicherheit der Crew oder den Orbiter.
[Beschreibung des Trümmerstücks]
Nun möchte ich ein wenig über den Inhalt unserer Analysen sprechen, da es eine Menge Diskussionen um diese Sache gab. Die Größe des Trümmerstücks, in dem es bei unseren Analysen ging, beträgt 20 Zoll mal 16 Zoll mal 6 Zoll [101,6 x 40,64 x 15,24 cm], das Gewicht 2,67 Pfund [1,21 kg]. Wir haben die Größe des Stücks auf zwei verschiedene Arten bestimmt. Erstens haben wir uns den Film angesehen und wir schätzten nach unseren besten Möglichkeiten die Größe ab. Zweitens bedienten wir uns der Informationen von [Shuttleflug] ST-112. Auf diesem Flug wurde aus der gleichen Sektion des [externen] Tanks ein Stück abgerissen. Bei ST-112 hatten wir einen Film, den Die Crew von dem Tank nach Brennschluß und Abtrennen des Tanks machte. Der Tank trieb langsam vom Orbiter ab und die Crew machte Aufnahmen davon. Wir konnten eindeutig feststellen, an welcher Stelle das Stück sich gelöst hatte. Anhand dieser Fotografien konnten wir die Größe des herausgerissenen Stücks bestimmen. Wir kennen die Größe und die Stelle, und daher können wir genau sagen, woher das Stück stammte. Auf dieser Grundlage konnten wir [unabhängig vom Startfilm] die Größe und das Gewicht des Stücks bestimmen. Als wir die Analysen machten, untersuchten wir verschiedene Aufprallwinkel. Das Stück schlägt nicht im rechten Winkel auf die Unterseite der Tragfläche. [zeigt mit den Händen, nimmt ein Shuttle-Modell zu Hilfe] Das Stück kommt vom Tank, von vorn, wird im flachen Winkel auf die Unterseite des Orbiters gelenkt, es trifft die Fläche und fliegt weg. Es trifft nicht rechtwinklig auf die Fläche. Wenn es also auf den Flügel trifft, muß man berechnen, wieviel Energie es hat, was wiederum von Masse und Größe abhängt. Das ist sehr wichtig.
[Mögliche Beschädigungen]
Wir untersuchten Aufprallwinkel von 10 Grad, 13 und 16 Grad, um unsere Analysen einzugrenzen. Wir arbeiteten mit verschiedenen Gewichtswerten. Wir verwendeten ein Computerprogramm, ein Hilfsmittel, das wir schon sehr oft eingesetzt haben, um die Beschädigung irgendeiner Kachel des Hitzeschilds durch dieses Stück vorherzusagen. Aus unseren früheren Arbeiten mit dem Programm und Experimenten wissen wir, daß es dazu neigt, früh Beschädigungen vorherzusagen. (…) Dazu kommt, ohne daß ich mich Details verliere, daß das Rechenmodell selbst konservativ arbeitet. Als wir die Analyse erstellten – und dabei vom schlimmsten Fall ausgingen – ergaben sich zwei, naja es waren mehr, zwei grundlegende, schlimmste Fälle: der Verlust einer ganzen Kachel im Bereich der Klappen des Hauptfahrwerks und der teilweise Verlust von Kacheln, also Teilen einzelner Kacheln, in einem größeren Umkreis. Der größere Umkreis maß etwa 32 x 7 x 2 Zoll [81,3 x 17,8 x 5 cm].
Unser Modell sagte also vorher, daß wir Beschädigungen auf der Unterseite des Flügels in der Nähe der Fahrwerksklappen des linken Hauptfahrwerks haben könnten, dazu in anderen Regionen vom Fahrwerk nach außen bis zur Flügelspitze. Die in Frage kommenden anderen Regionen hängen von den für Masse, Größe und Aufprallwinkel gewählten Werten ab, variieren also. Für beide Fälle, also den Verlust einer ganzen Kachel und den anderen Fall, sagte die Analyse vorher, daß zwar struktureller Schaden entstehen würde – damit meine ich eine lokale Erwärmung der unter den Kacheln liegenden Struktur -, aber kein Schaden, der ausreichend wäre ein katastrophales Ereignis auszulösen und auch kein Einfluß auf die fliegerische Qualität des Orbiters. (…)
In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß Medienberichte*, datiert auf den 04.02.2003, 00:15 MEZ, aus einem internen NASA-Memo zitieren, das sich genau auf die von Dittemore geschilderten Analysen des Stücks Schaumstoff beziehen.
Das Memo gibt die gleichen Sachverhalte und Szenarios für mögliche Beschädigungen wieder, die Dittemore auf der Pressekonferenz vorstellte – Verlust einer kompletten Kachel oder teilweise Beschädigung einiger Kacheln in einem begrenzten Abschnitt der Tragfläche.
Beides, so steht auch im Memo zu lesen, führen weder zu einem „Durchbrennen“ noch zu einer Gefährdung der Flugsicherheit. Die Überschrift zu dem Artikel lautet: NASA-Memo warnt vor „Potential für große Schäden“.