Aktuell im Kino: GRAVITY

Andreas Weise hat für uns GRAVITY gesehen. Hier ist sein fundierter Bericht über das aktuelle Weltraum-Kinospektakel. Mit Empfehlungen für Kinogänger, Raumfahrtbegeisterte, Wissensdurstige und Regie.

Ein Beitrag von Andreas Weise.

(Bild: Raumfahrer.net)

A star is born… .
Lange vor dem Kinostart in Deutschland am 3. Oktober 2013 hatte der Weltraumfilm GRAVITY die raumfahrtbegeisterten Kinobesucher neugierig gemacht. Die vorab veröffentlichten Trailer zeigten überwältigende Szenen, die den Zuschauer in ihren Bann zogen. Auch wussten einige Rezensenten vor dem Kinostart schon genau, was wir zu sehen bekommen würden. Etwas Einmaliges!
Der Filmregisseur James Cameron soll über GRAVITY gesagt haben: „Der beste Weltraumfilm aller Zeiten!“ Nun, das ist ein Superlativ, das misstrauisch macht. Also habe ich mir den Film gleich nach seinem Erscheinen angesehen: In meinem kleinen Heimatkino, schon in 3D und auf Berlins größer Kinoleinwand, im IMAX im Sonycenter am Potsdamer Platz. Das Ergebnis war grandios, berauschend, überwältigend und ernüchternd zu gleich.

Die Story
Die Geschichte ist schnell erzählt und könnte auf dem berühmten Bierdeckel Platz finden: Zeit und Ort der Handlung: Das Jetzt im Weltraum mit dem technologischen Stand von heute. Bei einer Shuttle-Mission am Hubble-Teleskop werden die Raumfahrzeuge durch einen Trümmerregen, verursacht durch die Sprengung eines russischen Satelliten komplett zerstört. Einzige Überlebende sind der alte Raumfahrt-Hase Kowalsky (George Clooney) und die Missionsspezialistin Dr. Stone (Sandra Bullock). Beide schweben jetzt im All allein, nur durch die Sicherungsleine miteinander verbunden. Über die Zwischenstationen ISS, Sojus, und die chinesische Raumstation Tiangong mit dem Raumschiff Shenzhou gelangt schließlich Stone zurück auf die Erde. Unterwegs ist ihr der Begleiter verloren gegangen und alles, was im All so herum flog, ist zertrümmert. Über weite Strecken ist der Film damit fast ein Einpersonenstück. Die Geschichte ist zu geradlinig und ohne wirkliche dramatische Wendungen. Der Zuschauer weiß, das es trotz aller Pannen und Zerstörungen gut ausgehen muss, da sonst die dünne Story vorzeitig beendet wäre.

Die Schauspieler
Mit der Besetzung der Rolle von Stone durch Sandra Bullock ist ein großer Wurf gelungen. Bullock spielt Ihre Rolle als ums Überleben kämpfende Astronauten sehr überzeugend. Angst, Panik, Überlebenswille – all das kommt überzeugend herüber. Außerdem trägt sie den Film als One-Woman-Show über weite Strecken allein. Ob es für den Oscar reicht, wird sich zeigen.
Für den männlichen Part, die Rolle des altgedienten Weltraum-Hasen Kowalsky konnte Georg Clooney gewonnen werden. Auch hier ein Glücksfall. Clooney gelingt es, der sehr überzogen und klischeehaft aufgebauten Figur Kowalsky wenigstens etwas Charme abzugewinnen. Sei es beim Herumkurven wie eine Hummel um die Blume mit dem Jetpack im Weltraum, der Suche nach dem russischen Wodka oder seinen flachen Sprüchen, die selbst die Bodenstation langweilen. Auch hat er dauernd diese durchdringende Mischung zwischen Lächeln und Grinsen in seinem Gesicht. Für mich sah das Gesicht immer irgendwie wie Buzz Lightyear aus Toystory aus. Zu erwähnen wäre, das in der US-Version Ed Harris als die Stimme von Mission Control zu hören ist. Man erinnere sich an seine Rolle als Flugleiter Gene Kranz in Apollo 13.

Das Szenenbild
Im krassen Gegensatz zur dünnen Geschichte steht die bildnerische Umsetzung. Diese ist grandios und überwältigend. Hier werden alle technischen Möglichkeiten des 3D-Films bis an ihre Grenzen voll ausgereizt. Die beste Wirkung entfalten die Bilder auf einer wirklich großen Kinoleinwand. Das Wohnzimmerkino mit Blueray wird hier später nicht mithalten können. Die überwältigenden Bilder der Eröffnungsszene und der ersten 10 Minuten Film sind in ihrer Wirkung vergleichbar mit dem für damalige Verhältnisse geradezu umwerfenden Erdanblick aus der Umlaufbahn in Kubrick’s 2001 aus dem Jahre 1968. Nachdem das Inferno der Zerstörung durch den Trümmerregen losbricht, sind atemberaubende Kamerafahrten zu sehen. Die Kamera erfasst die Totale der beginnenden Zerstörung, folgt dann den wilden Rotationen von Stone auf dem Greifarm und fängt zum Schluss ihr Gesichtsfeld ein. Und das alles ohne Schnitt!
Überhaupt ist es manchmal unfassbar, wie die Schwerelosigkeitsszenen umgesetzt worden sind. Sei es im freien Raum oder in den jeweiligen Raumfahrzeugen. Bei den Möglichkeiten der Computeranimation und Bildüberblendung wurden alle Register gezogen. Kleinere Fehlerchen haben sich zwar eingeschlichen, Stones Haar liegt in der Schwerelosigkeit wie angeklebt, aber das fällt nicht weiter auf.

Steuerung in Sojus-TMA 9 (Bildausschnitt: NASA)

Die Kulissen …
… zeugen von eine absoluten Liebe zum Detail. Es macht hier eine riesige Freude, mit den Augen auf Entdeckungsreise zu gehen. Es ist eigentlich fast alles da. So erinnert das Innere der russischen Schleuse stark an Bilder aus der alten Raumstation MIR und die Steuerhebel der Sojus haben sogar die Handballenaufleger, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Wiedererkennungswert ist auf alle Fälle gegeben. Kleinere konstruktive Änderungen, die aus dramaturgischen Gründen notwendig sind, übersieht der Betrachter, wenn er sich nicht gerade im Detail der Sojus-Konstruktion auskennt. Ob es eine fachlich kompetente Unterstützung, zum Beispiel durch die NASA oder Roskosmos gab, bleibt anzuzweifeln. Periodisch erlebt man im Laufe des Films eine Orgie der Zerstörung: Bunt, schrill und grandios in Szene gesetzt. Die Lautlosigkeit im All wird durch entsprechend aufpeitschende Filmmusik kompensiert. Man kann sich diesen Bildern der Zerstörung einfach nicht entziehen. Warum muss eigentlich in fast jedem US-Film, der an der Kinokasse Erfolg haben will, etwas vernichtet werden? Nun, diese Frage werde ich hier nicht klären können.

Als Fazit bleibt …
… eine extrem dünne Story, gegen die eine Sandra Bullock verbissen ankämpft. Eine (Fast-) Nebenrolle von George Clooney, der dramaturgisch aber auch nichts verbessert. Dagegen ein überwältigendes Szenenbild, an dem man sich einfach nicht satt sehen kann. Und das natürlich in 3D! Der Zuschauer hat zwei verschiedene Seiten einer Medaille vor sich und muss nun entscheiden, welche er nach oben dreht. Zweifellos wird das jeder irgendwie anders entscheiden.

Und der Sinn?
Jeder Film sollte einen Sinn haben (außer Geld einzuspielen). Aber welchen Sinn kann dieser Film ergeben? Was ist nun seine Aussage an das Publikum? Große Raumfahrtfilme wie 2001, 2010, Verschollen im Weltraum oder Apollo 13 hatten eindeutige Aussagen.
Man könnte es sich einfach machen, und sagen: „Bei GRAVITY: Gar keinen!“ Er ist ein Bombardement von tollen 3D-Bildern und rasanten Kamerafahrten. Wortwörtlich genommen also ein sinnloser Film?
Vielleicht.

Versucht man das Ganze aus Sicht des US-amerikanischen Publikums zu betrachten, so könnte man auf ganz andere Gedanken kommen. GRAVITY zeigt nichts anderes, als das Ende der bemannten Raumfahrt. All die investierten Milliarden Steuergelder der letzten Jahrzehnte in Shuttle, Hubble und ISS sind in Trümmern aufgegangen. Der Traum von der US-amerikanischen Supermacht im All ist dahin. Und Schuld daran sind, wie klischeehaft, die Russen mit ihrem stümperhaften Abschießen eines Satelliten. Da fragt man sich, warum es nicht gleich eine nordkoreanische Rakete war, die einen indischen Militärsatelliten getroffen hat.

Dass die USA sich selbst ihrer Spitzenerrungenschaften beraubt haben, wird verdrängt. Die Einstellung des Shuttle-Programms, damit die nicht mehr mögliche Erreichbarkeit von Hubble, die Demütigung, bei den Russen per Anhalter zur ISS mit fliegen zu müssen, sind hausgemacht. Ja selbst die Chinesen können jetzt allein bemannt ins All gelangen. Aber es soll nicht der mangelnde Wille der Politik oder der fehlende visionäre Blick sein, die dazu führten, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich ihres bemannten Weltraumzugang beraubt haben.
Es ist ein „höheres Ereignis“, was schlussfolgern lässt: Im Weltraum ist kein Leben möglich! Also keine bemannte Raumfahrt! Und alles wird wie beim Jüngsten Gericht in Trümmer gelegt. Der Film ist für alle Kreise in den USA Oberwasser, die meinen, aus Ermangelung an potentiellen Gegnern wie im Kalten Krieg sei es sowieso Unfug, sich mit bemannter Raumfahrt, Marsmenschensuche und ähnlichem zu beschäftigen. Und dafür setzt GRAVITY den Schlusspunkt.

Und was bringt der Film für die deutsche Raumfahrt-Szene?
GRAVITY ist keine Werbung oder gar eine Förderung des Raumfahrtgedankens. Kinder und Jugendliche werden nach Ansicht dieses Films nicht spontan überlegen, ob sie Astronaut werden. Insofern ist der Film kontraproduktiv.
Aber ich möchte, nicht ganz ohne Augenzwinkern, diesem brillant in Szene gesetzten Streifen doch etwas lehrreiches abgewinnen. Ich rufe alle raumfahrtbegeisterten Lehrer für Naturwissenschaften auf, sich mit Ihren Schülern den Film genau anzusehen und im Unterricht zu fragen: „Wäre das möglich?“. Wo verlaufen die Bahnen von ISS und Hubble wirklich? Funktioniert ein Feuerlöscher im All? Was trägt man für Anziehsachen im Raumanzug? Hat man nicht wenigstens Socken an? Kann beim Wiedereintritt der Landekapsel und entsprechender Abbremsung ein Kugelschreiber schwerelos durch das Bild schweben?
Es gibt ja so viel schöne und liebevoll in Szene gesetzte Ungereimtheiten zu entdecken! Und dabei unterstelle ich nicht, unbedingt nach dem berühmten Haar in der Suppe suchen zu müssen. Die Diskussion ist jedenfalls bereits im Gange. Nicht nur unter den Raumfahrt-Fans. Auch ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti und Ex-Astronaut Prof. Ulrich Walter haben sich zum Realitätsgehalt geäußert. Es lohnt sich bestimmt!

Die mögliche Rettung:
Es gäbe eine Möglichkeit, alle Schwächen des Filmes mit einem Schlag zu beseitigen. Dazu müssten nur ganze 2 Minuten zusätzlich gedreht werden. Vielleicht erleben wir das noch in einer späteren Version. Ich könnte mit das so vorstellen: In der Schlussszene bricht Stone auf der Erde zusammen. Das Bild wird verschwommen, sie wird ohnmächtig. Von Ferne hört sie die Stimme von Kowalsky: „Dr. Stone. Hören Sie mich? Dr. Stone! Aufwachen! Sie sind an der Reihe. …“ Stone schlägt die Augen auf. Sie befindet sich im Ausbildungszentrum der NASA in Houston und soll gleich in das Wasserbecken zu einem Schwerelosigkeitstraining an einem ISS-Modell steigen. Die Erkenntnis reift: Es war nur ein Traum… . Ein Alptraum… .

Bleibt zum Schluss nur noch eine Frage:
Wann erscheint die DVD oder die Blueray?

Andreas Weise

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