Im zweiten Teil des Interviews mit Dr. Kirill Sokolowski geht es um die Wissenschaft, die mit RadioAstron betrieben wird. Insbesondere sprachen wir über sein Forschungsgebiet (Aktive Galaxienkerne/AGN).
Ein Beitrag von Stefan Heykes. Quelle: RN Interview.
Der erste Teil des Interviews findet sich hier.
Kirill Sokolowski: Bislang wurden drei bildgebende Experimente gemeinsam mit dem Europäischen VLBI-Netzwerk (EVN = European Very Long Baseline Interferometry Network) durchgeführt. Das erste war im März 2012 und ist komplett verarbeitet. Die beiden anderen werden immer noch korreliert. (Die Beobachtungen dazu wurden im Oktober 2012 und im März 2013 durchgeführt, A.d.Ü.)
Raumfahrer.Net: Ist es geplant, die bei diesen Experimenten erzeugten Bilder zu veröffentlichen? Das erste Bild wurde veröffentlicht, wird das auch mit weiteren Bildern passieren?
Kirill Sokolowski: Mit Sicherheit ja!
Aber derzeit haben wir noch keine korrelierten Datensätze für die beiden anderen Experimente und nachdem wir diese haben, kann es immer noch einen oder zwei Monate dauern, bis die finalen Bilder erzeugt werden. So läuft das nunmal mit VLBI. Die Datenverarbeitung ist viel komplizierter und „empfindlicher“ als in anderen Bereichen der Astronomie, mit denen ich zu tun hatte.
Aber ich sollte dazu sagen, dass die meisten der RadioAstron-Beobachtungen nicht im bildgebenden Modus ablaufen. Das Ziel solcher Beobachtungen ist die Detektion von interferometrischen Signalen. Die Amplitude der Überlagerung kann für eine Reihe von Basislängen gemessen werden und dies kann mit einem einfachen Modell der Quelle abgeglichen werden. Zum Beispiel können wir, wenn wir eine gaußsche Form der Radioquelle annehmen, die Größe messen.
So wurde erdbasierte VLBI durchgeführt in der Zeit, wo nur wenige Teleskope an solchen Beobachtungen teilnehmen konnten. Das Problem bei der Bildrekonstruktion ist, dass eine möglichst gute Abdeckung der sogenannten uv-Ebene nötig ist: Viele Teleskope bei verschiedenen Basislängen.
Wenn RadioAstron fern der Erde ist, haben wir die Situation, dass alle Bodenteleskope sich im Prinzip an einem Ort befinden, so dass keine Bildrekonstruktion möglich ist – stattdessen haben wir beinahe ein Interferometer mit zwei Elementen. Daher können Bilder nur erzeugt werden, wenn der Satellit nicht mehr als vielleicht 3-5 Erddurchmesser entfernt ist. Bei dieser Basislänge haben wir nicht die höchste Auflösung, aber wir können ein Bild erzeugen. Bei größeren Basislängen können wir nur die gemessene sichtbare Amplitude mit einem einfachen Modell (wie einem gaußschen zum Beispiel) vergleichen. In diesem Fall können wir die Größe und Helligkeit der Quelle bestimmen. Außerdem können wir im Groben die Form bestimmen (ob das Objekt gestreckt ist oder nicht). Je mehr Datenpunkte wir haben, umso komplexere Modelle können wir zur Beschreibung des Objekts verwenden.
Raumfahrer.Net: Sie haben die Helligkeit und Größe erwähnt, die mit RadioAstron bestimmt werden kann. Es ist aber auch oft die Rede von „Helligkeitstemperatur“ als gemessene Eigenschaft. Wie kann diese bestimmt werden?
Kirill Sokolowski: Richtig, Helligkeitstemperatur ist ein bestimmter Weg der Radioastronomie um über Oberflächenhelligkeiten zu sprechen, etwas das in der optischen Astronomie als Magnitude pro Fläche bestimmt wird. Im einfachsten Fall ist die Helligkeitstemperatur die Helligkeit der Quelle geteilt durch die Größe. Dazu kommt noch ein Faktor, um den Wert in Kelvin umzuwandeln.
Es gibt einige Freiheit dabei, wie man die „Größe“ einer Quelle angibt, wenn man die eigentliche Größe nicht bestimmen kann, sondern nur die gemessene interferometrische Sichtbarkeit mit einem Modell abgleichen kann. So hätte ein sphärisches Modell eine etwas andere Größe als ein gaußsches Modell für die gleiche Quelle. Aber für alle anwendbaren Modelle ist der Unterschied der berechneten Helligkeitstemperatur ein kleiner Faktor. So können zum Beispiel 1014K problemlos von 1011K unterschieden werden, egal welches Modell verwendet wird.
Raumfahrer.Net: Was bedeuten diese verschiedenen Modelle?
Kirill Sokolowski: Das gaußsche Modell ist einfach eine Radioquelle, deren Helligkeitsverlauf einer gaußschen Glockenkurve folgt. Von diesem Modell gibt es zwei Varianten: Kreisrunde und elliptische. Das gaußsche Modell wurde einfach deshalb ausgewählt, weil damit einfach zu rechnen ist: Die Fourier-Transformierte (spezielle mathematische Methode zur Umwandlung von Funktionen, A.d.Ü.) einer Gaußkurve ist eine andere Gaußkurve. Und die vom Interferometer gemessene Sichtbarkeit ist die Fourier-Transformierte der Helligkeitsverteilung der Quelle.
Eine sphärische Radioquelle hat ein etwas anderes Helligkeitsprofil, es entspricht der Oberfläche einer Kugel. In beiden Fällen ist das kein physikalisches Modell der Quelle, sondern nur ein „Spielzeugmodell“, das uns erlaubt, die Größe und Strahlungsdichte einer Quelle zu charakterisieren. Eine Quelle, von der wir fast keine Details sehen, aber wo wir bereits sehen können, dass es keine Punktquelle ist – sondern eine leicht vergrößerte Punktquelle (eine typische Situation bei Interferometrie).
Raumfahrer.Net: Wie hängt die Fähigkeit zur Messung der Helligkeitstemperatur von der verwendeten Basislänge ab?
Kirill Sokolowski: Man braucht eigentlich Messungen bei verschiedenen Basislängen, um ein Modell zu erstellen und aus diesem Modell die Größe und Strömung der Komponenten zu bestimmen. Über den Bereich der Basislängen sollte es so sein, dass ein einfaches Modell die Struktur der Quelle zumindest annähernd darstellen kann. Es ist aber wohl nicht wahrscheinlich, das ein einziges einfaches Modell für Beobachtungen über einige Kilometer Basislänge, über VLBI mit irdischen Teleskopen über tausende Kilometer Basislänge bis hin zu Weltraumbeobachtungen über zehntausende von Kilometern funktioniert – die Quelle wird eine komplexe Struktur bei solchen Dimensionen haben.
Aber bei den großen Winkelauflösungen, die mit Weltraum-VLBI erreicht werden und unter Beachtung der begrenzten Empfindlichkeit scheint ein Modell zu funktionieren, bei dem die Quelle als einzelner heller Punkt von bestimmter Größe betrachtet wird.
Physikalisch gesehen ist bei AGN dieser helle Punkt der hellste Bereich des relativistischen Jets, wo dieser transparent wird für die eigene Synchrotronstrahlung. Dieser Bereich wird bei VLBI als „Kern“ bezeichnet, der hellste und kleinste Punkt in einem Lichtjahre großen Jet. Allerdings gibt es einige konkurrierende Ideen, was ein VLBI-Kern eigentlich ist. Im Prinzip könnte es andere Optionen geben, nicht nur diese Transparenz-Sache.
Raumfahrer.Net: Was sind diese alternativen Modelle?
Kirill Sokolowski: Eine vernünftig klingende Alternative ist, dass ein VLBI-Kern ein stehender Schock in einem Jet ist. In diesem Modell, wäre der Kern eine bestimmte physikalische Region, kein Platz an dem der Jet transparent für die beobachtete Frequenz wird. Außerdem gibt es weitere Modelle, aber diese scheinen nicht zu funktionieren für radio-laute AGN.
Ein Weg, um das Modell der „Sychrotron-Transparenz“ zu testen, ist es, die Größe eines VLBI-Kerns bei verschiedenen Frequenzen zu bestimmen. Das Transparenzmodell sagt vorher, dass der VLBI-Kern für kleinere Frequenzen größer sein sollte. Der Grund dafür ist, dass der Jet einen Öffnungswinkel hat, als Annäherung kann man vom Jet als eine Art Kegel sprechen. Der Jet wird für kleinere Frequenzen erst in größerem Abstand zu seiner Basis transparent.
Wenn der Kern also die Region ist, in der der konische Jet transparent wird, wäre er größer für kleine Frequenzen und kleiner für hohe Frequenzen. Dies wurde vom Boden aus beobachtet, aber mit RadioAstron können wir diesen Effekt mit viel größerer Genauigkeit messen. Die „Stehender-Schock“-Erklärung für VLBI-Kerne sagt hingegen keine Änderung in Größe und Position bei verschiedenen Frequenzen voraus.
Raumfahrer.Net: Gibt es bereits Hinweise, welches Modell besser passt?
Kirill Sokolowski: Leider gibt es dazu bis jetzt keine Ergebnisse von RadioAstron. Wir sind immer noch dabei, mehr Daten für eine Reihe von Objekten zu sammeln.
Raumfahrer.Net: Glauben Sie, dass RadioAstron die wahre Natur der VLBI-Kerne enthüllen kann?
Kirill Sokolowski Ja. Zur Zeit haben wir eigentlich nur eine genaue Größenmessung – den Kern des Blazars 0716+714 (ein Blazar ist ein AGN, dessen Jet genau in Richtung Beobachter zeigt. Die Bezeichnung ist entstanden aus „Quazar“ als Bezeichnung für AGN und „BL Lacertae“, dem ersten entdeckten Blazar, A.d.Ü.) aus dem abbildenden Experiment mit dem EVN. Wir brauchen mehr Zeit, um dies für andere Quellen basierend auf der Interferenz-Durchmusterung zu bestimmen. Für einige Quellen, darunter BL Lac selbst, sollten wir mittlerweile genug Daten haben, aber wir brauchen noch Zeit, diese zu verarbeiten. Ich bin mir sehr sicher, das wir die Natur der VLBI-Kerne mit RadioAstron endgültig bestimmen können.
Zum dritten Teil.
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