Gestern wurde der lang erwartete Abschlussbericht der Aldridge-Kommission veröffentlicht, die Bushs neues Raumfahrt-Programm auf seine Durchführbarkeit prüfen sollte.
Autor: Gero Schmidt
Die Expertengruppe war von Präsident George Bush kurz nach dessen Rede vom 14. Januar, in der er eine grundlegende Neuausrichtung des amerikanischen Raumfahrtprogramms angekündigt hatte, eingesetzt worden, um Empfehlungen zu erarbeiten, wie die ehrgeizigen neuen Ziele am besten zu erreichen seien. Bush hatte unter anderem angekündigt, bis spätestens 2020 erneut amerikanische Astronauten auf den Mond zu schicken, als Vorbereitung für Missionen zu noch weiter entfernten Zielen wie dem Mars. Finanziert werden sollen diese Missionen hauptsächlich durch Mitteleinsparungen, die aus der Einstellung des Shuttle-Programms im Jahr 2010, sowie aus der Beendigung des ISS-Programms 2016 resultieren.
Die für das nächste Jahr beantragte NASA-Budgeterhöhung um fünf Prozent (von 15,4 Milliarden Dollar auf 16,2 Milliarden Dollar) war in den vergangenen Monaten im Kongress immer wieder auf Widerstand gestoßen, auch wenn es einige ermutigende Entwicklungen gab. So wurde beispielsweise in einem Senatskomitee die beantragte Erhöhung bereits gebilligt; der Senat und das Repräsentantenhaus haben sich aber noch nicht auf eine gemeinsame Resolution geeinigt. Viele Beobachter erwarten, dass es erst nach den Präsidentschaftswahlen im November zu einer Entscheidung kommen wird, was wahrscheinlich bedeuten würde, dass die NASA einige Zeit mit einem Budget in Höhe der für 2004 freigegebenen Mittel auskommen müsste. Viele Kongressabgeordnete haben ihre Zustimmung zudem davon abhängig gemacht, dass sie erst mehr Details über das neue Vorhaben erfahren.
Höchste Zeit also, dass mit dem Bericht der Aldridge-Kommission wieder etwas Bewegung in den Prozess gebracht wurde. Die Gruppe unter Leitung des ehemaligen Air Force-Befehlshabers Edward C. (Pete) Aldridge, der unter anderem Neil deGrasse Tyson vom Hayden Planetarium in New York, Paul Spudis von der Planetary Society und Robert Walker, der bereits vor zwei Jahren eine Kommission zur Zukunft der amerikanischen Luft-nd Raumfahrtindustrie geleitet hatte, angehören, hatte über die vergangenen vier Monate in zahlreichen öffentlichen Anhörungen die Meinungen einer Vielzahl von Fachleuten eingeholt: Geladen waren unter anderem Vertreter der Luft- und Raumfahrtindustrie, des Militärs, der Medien und von Raumfahrtverbänden, aber auch der Science Fiction-Autor Ray Bradbury und der Computerspiele-Entwickler Larry Holland waren unter den Befragten. Außerdem konnte sich auch der Durchschnittsbürger über die Webseite der Kommission (www.moontomars.org) mit Vorschlägen beteiligen. Bis Mitte Juni sind über 6000 solcher Zuschriften eingegangen und die Webseite wurde mehr als sechs Millionen mal besucht.
Die Mitglieder der Kommission standen vor der gewaltigen Aufgabe, aus all diesen Ratschlägen und Empfehlungen die besten herauszufiltern und natürlich eigene zu machen. In ihrem 60-seitigen Abschlussbericht mit dem Titel ‚A Journey to Inspire, Innovate, and Discover‘ sind ihre Schlußfolgerungen und Ergebnisse ausführlich dargelegt. Die wichtigsten Empfehlungen der Kommission kurz zusammengefasst:
- Die NASA soll bei der Umsetzung der neuen Raumfahrt-Initiative viel stärker als bisher auf den privaten Sektor setzen. Nur solche Aufgaben, die erwiesenermaßen nur direkt von der NASA übernommen werden können, sollen noch von der Behörde selbst erledigt werden. Insbesondere was den Transport von Nutzlasten in den Weltraum angeht, sollen private Firmen die Hauptverantwortung übernehmen. (Vorläufige) Ausnahme: Bemannte Raumflüge.
- Strukturelle/organisatorische Veränderungen: Die Zahl der Abteilungen im NASA Hautquartier in Washington soll verringert werden; die einzelnen Abteilungen und vor allem die über die gesamten USA verstreuten NASA-Forschungszentren sollen besser zusammenarbeiten; die NASA-Zentren sollen in so genannte Federally Funded Research and Development Centers (FFRDCs) umgewandelt werden – Vorbild ist hierbei das Jet Propulsion Laboratory (JPL), welches kein NASA-Zentrum ist, wie oft fälschlicherweise angenommen wird, sondern nur Projekte für die NASA durchführt, dabei aber dem California Institute of Technology (CalTech) untersteht.
- Im Weißen Haus soll eine Koordinationsstelle für das Raumfahrtprogramm eingerichtet werden, die dafür sorgen soll, dass verschiedene Behörden koordinierter zusammenarbeiten, beispielsweise die NASA und Teile des Militärs. Die Leitung dieser Gruppe hätte der Vizepräsident oder ein anderes hochrangiges Mitglied der Regierung inne.
- drei neue Organisationen sollen innerhalb der NASA geschaffen werden: Eine unabhängige Kostenschätzungsgruppe; eine Abteilung, die sich speziell mit Sicherheitsfragen befasst; eine Organisation, die für die Entwicklung besonders “gewagter” und potentiell revolutionärer Technologien zuständig ist
Manche hatten vor der Veröffentlichung des Berichts noch radikalere Empfehlungen erwartet, wie die, eines oder mehrere der NASA-Zentren zu schließen, die sich oft gegenseitig blockieren bzw. in ihren Aufgaben duplizieren. Das ist nicht geschehen, weil sonst, so der Kommissions-Vorsitzende Aldridge, „der Report am ersten Tag verbrannt worden wäre.“ Auch so wird es nach Ansicht von Experten schwierig werden, den zu erwartenden politischen Widerstand gegen die Umwandlung einiger Zentren und gegen andere Reformen zu überwinden.
Die Kommission betont in ihrem Bericht, dass die von Präsident Bush gesetzten Ziele durchaus zu erreichen sind, und zwar in dem dafür vorgesehenen finanziellen Rahmen. Entscheidend sei, dass sich die NASA in ihrem Verhalten ändere, in der Art, wie sie ein solches Programm umsetzen will. Es wird positiv hervorgehoben, dass die Raumfahrtagentur bereits damit begonnen hat, einige der Empfehlungen, wie etwa eine Umstrukturierung und “Entschlackung” der Behörde, umzusetzen, es sei jedoch noch weit mehr zu tun und das bald.
Eine schnelle Umsetzung der Empfehlungen der Kommission könnte vor allem deshalb entscheidend sein, weil es zumindest im Moment nicht nach einer Wiederwahl Bushs im November aussieht, und der demokratische Herausforderer John Kerry bisher keinerlei Interesse am Raumfahrtprogramm hat erkennen lassen, wenn man von den üblichen Allgemeinplätzen absieht, wohl aber Bush wegen seiner Initiative kritisiert hat. Sollte also im nächsten Jahr Kerry ins Weiße Haus einziehen, wäre es gut, wenn zu diesem Zeitpunkt die NASA bereits zu einem Grad verändert wäre, der es schwer machen würde, zu “business as usual” zurückzukehren.
In einem gestern veröffentlichten Interview mit der bekannten Raumfahrt-Webseite space.com deutete Kerry seine Pläne für die Zukunft der NASA an: Darin kommen bemannte Missionen zum Mond oder gar zum Mars nicht vor, statt dessen scheint ihm eine Fortsetzung der fruchtlosen Versuche der NASA einen Shuttle-Nachfolger zu entwickeln, vorzuschweben; eine Aufgabe, für die private Firmen erwiesenermaßen besser geeignet sind. Etwas trostlose Aussichten also, aber erstens ist die Wahl noch nicht entschieden und zweitens besteht auch im Falle eines Kerry-Sieges immer noch die Hoffnung, dass zumindest eine abgespeckte Version der Raumfahrtinitiative die politischen Veränderungen überdauern könnte – sofern die NASA schnell und entschieden handelt und in den kommenden Monaten die nötigen Reformen einleitet. NASA-Chef Sean O’Keefe deutete in einem gestern auf der offiziellen NASA-Webseite veröffentlichten Schreiben, in dem er die vorgeschlagenen Änderungen begrüßt und sich bei den Kommissionsmitgliedern bedankt, bereits Entsprechendes an.
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