Der letzte Start der Atlantis im europäischen Astronautenzentrum

Am 8. Juli 2011 hob die US-Raumfähre Atlantis zum letzten Flug des Space-Shuttle-Programms ab. Raumfahrer.net begleitete den Start vom europäischen Astronautenzentrum in Köln aus.

Zum Ende des US-Amerikanischen Shuttle-Programms veranstaltete die europäische Raumfahrtagentur ESA in Köln ein Presseevent mit verschiedenen Astronauten der europäischen Raumfahrt. Im Mittelpunkt stand der letzte Shuttle-Start mit dem Orbiter Atlantis, der letzten Mission STS-135.

Die Veranstaltung wurde von Dr. Martin Zell eröffnet, dem ESA-Bereichsleiter für Astronauten und ISS-Nutzung, der die versammelten Medienvertreter begrüßte. Er berichtete über die jüngsten Erfolge der bemannten Raumfahrt in Europa, wie beispielsweise die Missionen von Paolo Nespoli, der im Mai dieses Jahres zur Erde zurückgekehrt war, oder die von Roberto Vittori, der auf dem letzten Flug der Endeavour als Missionsspezialist dabei war. Danach sprach er vom Ende des Shuttle- Programms. So war STS-135 definitiv der letzte Flug, ein Grund mehr, ein derartiges Event zu veranstalten.

Nach der Begrüßung der anwesenden Astronauten Dr. Ulf Merbold, Prof. Dr. Ernst Messerschmid, Dr. André Kuipers, Frank de Winne, Dr. Alexander Gerst sowie Paolo Nespoli übergab er letzterem das Wort, welcher von seinem eigenen Flug zur Internationalen Raumstation ISS berichtete. Beispielsweise erzählte er von emotionalen Momenten, zu denen beispielsweise das Öffnen von Luken zu Besuchsbesatzungen gehört. Jedoch blieb ihm für diese Erzählungen nicht viel Zeit, da die Atlantis in den Startlöchern stand.

Nespoli erwies sich als ausgezeichneter Startkommentator und erklärte in den letzten Minuten vor dem Start hervorragend wie dieser denn funktioniere. Kleinere Probleme während des Startverlaufs wurden von den anwesenden Fachleuten verständlich erklärt. Als die US-Raumfähre dann zu ihrem letzten Flug aufbrach, war die Stimmung im Astronautenzentrum wie bei einem Fußballspiel, nach der erfolgten Tankabtrennung gab es tobenden Applaus.

Paolo Nespoli erklärt den Start
(Bild: Raumfahrer.net)

Im Anschluss an den erfolgten Start war Gelegenheit für Fernsehteams und Reportern zu Gesprächen und Einzelinterviews mit den Astronauten. Auch Raumfahrer.net führte mit den Astronauten sehr interessante, detailreiche Gespräche.

Paolo Nespoli berichtet von seiner ISS-Mission

Paolo Nespoli ist im Mai 2011 von seiner 5-monatigen Mission mit dem Namen MagISStra zurückgekehrt. Die Erfahrungen seines Fluges und mehr schilderte er wie folgt:

Raumfahrer.net: Sie haben die Internationale Raumstation ISS von der Sojus aus fotografiert. Konnten Sie die atemberaubende Aussicht genießen oder waren Sie zu sehr darauf konzentriert, Fotos und Videos anzufertigen?

Nespoli: Dort hinaufzugehen und zu fotografieren war nicht so einfach, es war nicht so, als ob man da reingehen würde und Fotos machen könnte. Wir mussten mehrere Dinge tun, damit dies möglich war. Es war zum einen aus technischer Sicht kompliziert, zum anderen gab es auch Sicherheitsprobleme. Wir waren alle besorgt, ob ich das tun könnte, ohne das Raumschiff irgendwie zu beschädigen. Als ich dann endlich hinauf gehen und mich auf die Fotos konzentrieren konnte, schaute ich kurz auf die Station und es war wirklich überwältigend und atemberaubend. Ich entschied mich dann, nicht mehr als ein paar Sekunden zu schauen, weil ich ansonsten die Aufgabe Fotos zu machen gestört hätte, welche sehr schwierig war. Es war nicht einfach ein Foto machen, denn wir mussten die Aufnahmen mit verschiedenen Methoden anfertigen. Außerdem bewegte sich die Station und ich musste außerdem Videos aufnehmen. Ich musste deswegen abwechselnd fotografieren und filmen, es gab also eine Menge zu tun. Dabei halfen mir meine Kollegen und der Bodenkontrolle, die mit mir sprachen. Es war sehr interessant. Als sich das Ganze dem Ende zuneigte, kam der Sonnenuntergang, so dass die Station quasi aus dem Blickfeld verschwand. Wenn ich aber durch die Kamera schaute, konnte ich die Station immer noch sehen. Das war erstaunlich, weil es wie ein Zaubertrick aussah. Wenn ich mich bewegte, sah ich abwechselnd die Station und dann wieder nicht.

Raumfahrer.net: Als sie dann wieder in das Rückkehrmodul zurückkehren mussten, wie haben Sie sich da gefühlt?

Nespoli: Wir waren unter Zeitdruck, weil wir die Wiedereintrittsprozedur wieder aufnehmen mussten. Dies musste zu einem exakten Zeitpunkt geschehen. Wir hatten auch das Problem, dass wir einige Drucksiegel, die wir eigentlich schon geprüft hatten, wieder gebrochen hatten, so dass wir alles erneut machen mussten, um wieder dahin zu kommen, wo wir vorher waren. Im Normalfall macht man diese Prozedur, während man noch mit der Station verbunden ist, so dass man im Falle eines Fehlers wieder zurückgehen könnte. Da wir jetzt aber schon abgekoppelt hatten, dachten wir ein bisschen, was würde passieren, wenn die Tests fehlschlagen würden. Wir gingen also schnell in das Rückkehrmodul zurück, schlossen alle Luken, legten die Handschuhe wieder an und führten alle Dichtigkeitstests erneut durch. Es war also sehr hektisch, während wir prüften, ob alles in Ordnung war. Danach hatten wir anderthalb oder zwei Stunden Zeit. Wir saßen dann da in der Sojus, reflektierten unsere 6-monatige Zeit im All und dachten darüber nach, was kommt, also der Wiedereintritt, welcher ein sehr rasanter Moment ist.

Raumfahrer.net: Während ihrer Mission gab es eine Menge Transportraumschiffe, die ankommen, so dass es eine Menge Inventarverwaltung, wofür Sie zuständig waren. Dabei gab es auch Probleme, Dinge zu finden. War es schwierig, dabei den Überblick zu behalten?

Nespoli: Während der Mission kamen nahezu alle vorhanden Fahrzeuge an, so dass es eine Menge Nachschub und Material gab. Zur gleichen Zeit mussten aber auch viele Dinge entsorgt werden. Dies zu bewerkstelligen, war eine große Herausforderung. Sie müssen sich das so vorstellen, dass jeden Monat ein großer LKW in ihre Garage fährt. Diesen LKW müssen sie entladen und alles so einsortieren, dass Sie es wiederfinden. Dies ist eine der schwierigsten Aufgaben auf der Raumstation. Wir haben einige Probleme damit und es gibt immer noch Sachen, die wir nicht finden können. Gerade heute Morgen habe ich eine E-Mail von Mike Fossum aus dem All bekommen, ob ich mich erinnere wo der eine Gegenstand wäre. Ich habe ihm geantwortet und dann hat er es gefunden.

Raumfahrer.net: Was war das genau?

Nespoli: Vor zwei Tagen haben sie nach einem Kabel für eine Kamera gesucht, heute war es ein Computer. Das sind kleine Dinge, aber es ist wirklich eine Herausforderung, das zu verstehen und einen Weg zu finden, so zusammenarbeiten. Und aus diesem Grund haben wir Raumstation, so dass wir die Dinge besser gestalten können. Ich würde sagen, dass ich am Ende überrascht war, weil Dinge verloren gingen und wir sie nicht wiederfinden konnten. Aber im Wesentlichen ist das eine unbedeutende Sache. Wir können weiterhin jeden Tag zehn, zwölf oder vierzehn Stunden mit der Ausrüstung arbeiten, die wir brauchen.

Raumfahrer.net: Bei der letzten Sojus-Mission, die die Station erreichte, konnten sie ihre Schuhe nicht finden, wodurch sie ihre Trainingsaufgaben nicht durchführen konnten.

Nespoli: Ja, das passiert. Ich würde aber nicht sagen, dass das die Normalität ist, aber wenn man viele tausende Dinge transportiert und manche von diesen in anderen Nationen hergestellt werden, dann müssen sie nach Russland geliefert werden und dort nach Moskau gebracht werden. Von da aus werden sie nach Baikonur in Kasachstan gebracht und dort ins Raumschiff verladen. Bei so einem komplexen Prozess kann das schonmal passieren. Mittlerweile haben sie die Schuhe übrigens gefunden. Was sie nicht herausfinden konnten war, wo sie waren. Aber manchmal ist das einfach so. Ich habe auch manchmal einfach etwas in Node 2 abgelegt und dann weitergearbeitet. Hinterher wusste ich nicht mehr genau, wo ich es hingelegt hatte. Ein anderes Problem ist, dass wir jetzt in drei Dimensionen arbeiten, so dass wir nicht mehr nur links, rechts, vorne und hinten haben, sondern auch oben und unten. Auch ist es so, dass man manchmal etwas in einen Schrank packen möchte, dort aber schon eine Menge drin ist. Dann funktioniert das nicht und man muss erst Gegenstände herausräumen und hinterher alles wieder einräumen. Wenn man dann weiterarbeiten will, sieht man plötzlich, dass noch etwas herumschwebt und dann stopft man es schnell dazu. Und dann ist da nochwas und so weiter. Das passiert relativ häufig. Manchmal ist es auch so, dass man etwas fertigstellt und zwei Stunden später vorbeikommt und sieht, wie etwas herumschwebt und es so aussieht, als ob es dazu gehören würde. Die Schwerelosigkeit spielt eine Menge Tricks und es hilft beim Verstauen nicht wirklich.

Raumfahrer.net: Vor einiger Zeit mussten die Stationslaptops neu konfiguriert werden. Dabei schwebten im Destiny-Modul eine Menge Kabel umher. Kann man dabei den Überblick behalten?

Nespoli: Das mit den Kabeln ist ein Problem, dass wir auf dem Boden nicht haben, dort oben haben sie ihr „eigenes Leben“. Wenn ich hier ein Kabel auf den Boden lege, dann bleibt das da liegen. Auf der Station würde es nicht da bleiben. Außerdem haben wir eine Kraft, so dass es lustig ist, dass wenn man ein Kabel mit einem Computer verbindet und dieses Kabel dann den Computer wegzieht. Alle diese Dinge spielen Tricks, die man alle lernen muss. Die Dinge zu befestigen oder irgendetwas zu tun, dauert viel länger als auf der Erde. Das interessante ist, dass wir hochfliegen, uns an die Umgebung anpassen und mit neuen Lösungen zurückkehren.

Raumfahrer.net: Wie lange braucht man, um sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen?

Nespoli: Um sich an die Umgebung anzupassen, benötigt man nur ein paar Tage, zwei oder drei. Aber bis man sich wirklich zuhause fühlt, wenn man etwas isst oder trinkt, wenn man auf die Toilette geht oder wenn man schläft oder arbeitetet braucht man einen oder anderthalb Monate.

Raumfahrer.net: Vielen Dank!

Frank de Winne als ISS-Kommandant

Nespoli im Interview
(Bild: Raumfahrer.net)

Schon länger wieder auf der Erde ist Frank de Winne. Der 50-jährige Belgier war im Dezember 2009 von seiner ISS-Mission zurückgekehrt. Dort war er als Kommandant der Expedition 21 im Einsatz. Wie das Leben als ISS-Commander so ist, berichtete er mit folgenden Worten:

Raumfahrer.net: Herzlichen Glückwunsch zu ihrem erfolgreichen Flug als erster europäischer ISS-Kommandanten. Dazu eine Frage: Wie unterscheiden sich die Aufgaben eines Kommandanten von denen der Flugingenieure?

De Winne: Die tägliche Arbeit eines Kommandanten ist genau genommen vergleichbar zu der eines Flugingenieurs. Die Rolle des Kommandanten zeigt sich im Notfall, also wenn etwas schiefläuft. Dann kann er die Entscheidungen treffen. Im Normalfall entscheidet die Bodenkontrolle, wie die Arbeit an Bord organisiert wird. Aber wenn ein Notfall eintritt, geht diese Autorität automatisch auf den Kommandanten über und dann trägt dieser wirklich die Verantwortung. Außerdem ist der Kommandant dafür zuständig, dass das Klima an Bord der Raumstation, also der Weg wie Menschen untereinander und mit der Bodenkontrolle zusammen arbeiten, optimal ist, so dass jeder sein Bestes geben kann. Man ist also auch ein bisschen Trainer und Psychologe.

Raumfahrer.net: Können Sie ein Beispiel dafür geben, in welchen Situationen der Kommandant Entscheidungen treffen muss?

De Winne: Ja, in drei verschiedenen Notfällen hat der Kommandant zu entscheiden. Feuer, Druckverlust, also wenn ein Leck in der Station ist und die Atmosphäre ausströmt und wenn die Atmosphäre innerhalb der ISS giftig wird. In diesen Fällen gibt es einen Alarm und der Kommandant erhält die Entscheidungsmacht.

Raumfahrer.net: Sie waren einer der ersten Astronauten, der Mitglied einer Sechs-Personen-Crew auf der ISS war. Inwiefern unterscheidet sich das zu einer Drei-Personen-Crew?

De Winne: Ich denke, dass die Sechs-Personen-Crew sehr gut war und dass sich so sehr gut arbeiten ließ. Denn mit sechs Personen gibt es mehr Zusammenarbeit zwischen den Crewmitgliedern, sie ist unterschiedlicher, weil es immer fünf andere gibt, mit denen sich arbeiten lässt. Es gibt immer einen, der gerade nichts zu tun hat oder mit dem man reden kann. Für uns ließ es sich sehr gut arbeiten. Am Anfang dachten wir, dass es ein Problem mit den limitierten Kommunikationsmöglichkeiten zum Boden und mit den Ressourcen geben könnte, aber am Ende war es sehr gut.

Raumfahrer.net: Als ein europäischer Astronaut waren Sie sozusagen zwischen dem russischen und dem US-Amerikanischen Segment. Wo haben Sie mehr gearbeitet?

De Winne: Heutzutage sind Europäer, die zur ISS fliegen Teil des westlichen Segment, dem USOS-Teil. Columbus ist auch an diesen angekoppelt. Deshalb liegen unsere Aufgaben als Astronauten hauptsächlich in diesem Segment, aber wir verbringen auch viel Zeit mit unseren russischen Kollegen, so wird zum Beispiel das Frühstück und das Mittagessen immer im russischen Segment eingenommen. Außerdem gab es Cupola noch nicht, so dass sich die einzigen Fenster für die Erdbeobachtung im russischen Segment befanden. Deswegen waren wir sehr viel mit unseren russischen Kollegen in diesem Segment.

Raumfahrer.net: Wie war das während eines Shuttleflugs? Gab es da keine Probleme mit dem Platz im russischen Segment?

De Winne: Auf unserem Flug war es so, dass wir das Frühstück und das Mittagessen immer im russischen Segment eingenommen haben und das Abendessen immer im amerikanischen Teil stattfand. Dies hat sich auch während eines Shuttleflugs nicht geändert, denn während eines Tages waren wir sehr beschäftigt, so dass wir im russischen Segment gegessen haben und die Shuttle-Crew im Shuttle. Abends haben wir dann nach der Arbeit im Unity-Modul gegessen.

Raumfahrer.net: Stimmt es, dass manche Astronauten für die Sprache auf der ISS das Wort „Runglish“ verwenden?

De Winne: Sobald man oben ist, ist man eine Crew der Internationalen Raumstation. Da kommt es nicht so drauf an, ob man aus den Vereinigten Staaten, Japan, Europa, Kanada oder Russland kommt. In meiner Crew hatten wir Menschen aus all diesen Nationen an Bord. Wir sind eine Crew, da gibt es da kaum Unterschiede. Bei der Sprache war das natürlich anderes. Wenn wir mit unseren amerikanischen Crewmitgliedern gesprochen haben, war das mehr Englisch, mit den russischen mehr Russisch. Wenn wir alle zusammen gesprochen haben, gab das einen Mix, den man wirklich Runglish nennen konnte.

Raumfahrer.net: Passiert es öfters, dass man bei der Kommunikation mit den Bodenstationen mit der Sprache durcheinander kommt?

De Winne: Es gibt verschiedene Transportraumschiffe. Und es ist oft so, dass mit einem russischen Transporter amerikanische Ausrüstung hochgebracht wird oder andersherum. Dies muss dann sehr gut zusammen mit dem Boden koordiniert werden. Manchmal ist es so, dass russische Ausrüstung mit dem Shuttle runtergebracht wird oder amerikanische Dinge in die Progress gebracht werden sollen. In diesem Fall versucht man zu übersetzen. Es macht schon Mühe, so zu kommunizieren, aber das ist eigentlich kein Problem, sondern ist nur etwas anstrengend.

Raumfahrer.net: Vielen Dank!

Ulf Merbold zur europäischen Perspektive nach dem Shuttle-Ende

In dem Gespräch mit Ulf Merbold, dem ersten Nicht-Amerikaner, der in einem Space-Shuttle mitfliegen konnte, sprachen wir über die Zukunft.

Raumfahrer.net: Herr Merbold, Sie sind schon vor geraumer Zeit mit dem Shuttle geflogen? Die Fernsehaufnahmen von damals sind schon historisch. Wo sehen sie die Unterschied zwischen damals und heute?

Merbold: Nun, ich war der erste Nicht-Amerikaner, den die Amerikaner im Shuttle mitgenommen haben. Die Änderungen, die wir heute erleben, sind ja sehr traurig. Wir erlebten gerade den letzten Start des Shuttle-Programms nach 30 Jahren Hier hören die Amerikaner auf und machen sich für eine noch nicht absehbare Zeit davon abhängig, dass die Russen ihnen in die Umlaufbahn verhelfen. Und ich wünschte, wir Europäer würden daraus die Lehre ziehen, schleunigst was eigenes zu bauen.

Raumfahrer.net: War die ESA in der Vergangenheit nur der kleine Bruder der NASA und werden die Probleme der Nasa jetzt auch die ESA treffen?

Merbold: Ich möchte hier nicht die Amerikaner kritisieren, die werden ihre Gründe haben. Der Shuttle Betrieb war teuer und wenn aus 135 Flügen zwei in die Katastrophe führen, muß man auch sagen, dass es nicht ausreichend sicher ist. Aber die Europäer, ohne eigenes Fahrzeug sind bis dato Junior-Partner; wir sind so im Grunde verzichtbar. Wir sind sehr gut, wenn es darum geht, im Weltraum wissenschaftliche Experimente erfolgreich durchzuführen, zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, aber wir brauchen die anderen als Crew-Transporteure, um in die Umlaufbahn zu gelangen und von dort aus sicher zurückzukehren. Und da denke ich, wird es jetzt langsam Zeit, dass wir uns in Europa die Fähigkeit selber erarbeiten, auch ohne deren Hilfe dort hinzukommen. Und vor allem hätten wir jetzt mit dem ATV ein europäisches Raumschiff, die Gebrauchsfähigkeit der Station signifikant zu erhöhen. Denn diese nimmt jetzt Schaden, weil im weiteren nur noch die Sojus in der Lage ist, irgendetwas zurückzuholen und das ist ja so gut wie nichts, die Sojus ist viel zu eng und zu klein, um größere Geräte, Proben oder Material zur Erde zurückzubringen. ATV wäre ja dreimal so groß als die Sojus. So wie man aus der Progress die Sojus gemacht hat oder umgekehrt, könnte man auch aus dem ATV ein bemanntes Raumschiff bauen.

Raumfahrer.net: Würden die Amerikaner lieber bei den Europäern einen Sitzplatz kaufen als bei den Russen?

Merbold: Nein, das glaub ich nicht, inzwischen ist man doch gut miteinander vertraut.

Raumfahrer.net: Raumfahrtprojekte sind immer mit viel Planungs- und Organisationsarbeit verbunden. Muß die Perspektive dann nicht mehr auf 2020-2030 ausgerichtet sein?

Merbold: Ich denke, wir könnten das ARV sehr viel schneller realisieren Die Aufgabe des Rendezvous und Docking ist gelöst, das kann das ATV sehr sicher und präzise, die Rückkehrfähigkeit wäre für uns was Neues, Lebenserhaltungssysteme haben wir schon gebaut im Spacelab und in Columbus. Es geht also nicht mehr um Technik, sondern ist nur noch eine Frage des politischen Wollens.

Raumfahrer.net: Was denken Sie über die Diskussion LEO versus BEO-Exploration?

Merbold: Mittelfristig sollte es für uns eine Herausforderung bleiben, was unsere Altvorderen gemacht haben, weiterzuführen. Es läßt sich nicht leugnen, dass viele Teile des heutigen Weltbildes von Entdeckern an die Gesellschaft zurückgebracht wurden: Einsichten über die Belastungsgrenzen des menschlichen Körpers, über Geographie, Klima, über Tiere, Pflanzen, Kulturen durch Entdecker wie Columbus oder Marco Polo, Livingstone, Amundsen und Scott. Warum sollten wir jetzt sagen, wir wissen alles und gehen nicht mehr weiter. In meinen Augen ist es unsere Aufgabe, das fortzusetzen und das kann ja nur bedeuten, das weitere Planetensystem zu erforschen, aber für die nahe Zukunft, da sollten wir die Investition, die wir mit der Raumstation getätigt haben, auch sinnvoll nutzen, um diese große Station, die ja nun dreimal so groß ist wie die MIR, um sie als wissenschaftliches Labor auch zu nutzen.

Raumfahrer.net: Halten sie die Lebenszeit der ISS auf 2020 für begrenzt?

Merbold:Das kann man noch nicht wissen. Man kann Teile, die altern, nach und nach ersetzen und laufend modernisieren. Das setzt jedoch die logistische Fähigkeit voraus, Menschen und Dinge dort hin zu bringen oder wieder zur Erde zurückzubringen.

Raumfahrer.net: Ist das Shuttle nach 30 Jahren zu alt geworden?

Merbold: Nein, das Shuttle ist nicht zu alt, es ist jetzt auch so sicher wie es vorher noch nie war. Ob es sicher genug ist, ist nochmal eine andere Frage und es sind die Kosten, warum die Amerikaner damit aufhören wollen. Aber es würde mich nichts davon abhalten, mich in ein Shuttle zu setzen!

Raumfahrer.net: Vielen Dank für das Gespräch.

Ernst Messerschmidt über das Ende des Shuttle-Programms

Ernst Messerschmid
(Bild: Raumfahrer.net)

Ernst Messerschmid flog mit dem US Shuttle als Wissenschaftsastronaut, als das Shuttle noch selbst mit dem Spacelab als Forschungsstation ausgerüstet war. Seit der Zeit sind viele Jahre vergangen, in der das Shuttle die Grundlage der bemannten Raumfahrt bildete. Raumfahrt und deren Weiterentwicklung muss das Ziel verfolgen, die Sicherheit und Zuverlässigkeit zu erhöhen.

Er betonte vor allem, dass uns bewusst sein sollte, dass Wissen und Können Hand in Hand gehen. Wissen ist zwar archivierbar, aber Können nicht und so werden uns mit dem Ende des Shuttles das Können und viele Fähigkeiten verloren gehen. Das Shuttle war eine technische Errungenschaft, die nunmehr eine große Lücke hinterlassen wird.

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