Asteroid Retrieval: Die Qual der Wahl

Die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtagentur NASA plant, einen erdnahen Asteroiden (NEA) in eine Mondumlaufbahn zurückzuführen, damit er dort von Astronauten genau analysiert werden kann. Nun steht die Entscheidung bevor, ob ein kleiner Asteroid als Ganzes oder eine kleine Probe von einem großen Asteroiden zurückgeführt werden soll. Unterdessen wird Kritik an dieser Mission immer lauter.

Ein Beitrag von Martin Knipfer. Quelle: NASA, NSF, SpaceNews, Hattiesburg American.

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Der Asteroid Lutetia, aufgenommen von der Raumsonde Rosetta.
(Bild: Wikimedia)

Sie sind Boten aus der Frühzeit unseres Sonnensystems: Asteroiden. Bei ihnen handelt es sich um Himmelskörper, die sich zu Zeiten der Entstehung der Planeten gebildet haben, sich jedoch nicht zu Planeten weiterentwickelt haben. Vielmehr sind sie unterschiedlich große Gesteinsbrocken, die sich seit ihrer Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahren kaum verändert haben. Forscher hoffen deshalb, durch Untersuchungen von Asteroiden Genaueres über die Entstehung unseres Sonnensystems herauszufinden. Deshalb statteten bereits zahlreiche Raumsonden Asteroiden einen Besuch ab. Um Asteroiden noch genauer zu untersuchen, ist auch geplant, mithilfe von Sonden Proben zu entnehmen und diese Proben auf der Erde zu landen, damit Wissenschaftler sie in irdischen Labors analysieren können. Zu einer solchen Mission (auch Sample Return genannt) ist momentan die japanische Sonde Hayabusa 2 unterwegs, 2016 soll die amerikanische Osiris-REx-Mission folgen. Doch die aufwendigste Mission, um einen Asteroiden zu erforschen, steht noch bevor: Asteroid Redirect.

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Zwei Astronauten untersuchen den zurückgeführten Asteroiden- Illustration.
(Bild: NASA)

Diese Mission wurde 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt und besteht aus zwei Teilen: Als erstes startet eine unbemannte Sonde (ARV, Asteroid Retrieval Vehicle) und fliegt zu einem erdnahen Asteroiden (NEA, Near Earth Asteroid). Dieser wird in eine Art Beutel verfrachtet, der sich an der Vorderseite des ARV befindet. Dann fliegt das ARV mitsamt dem eingefangenen Asteroiden wieder zurück und schwenkt in eine Umlaufbahn um den Mond ein. Daraufhin fliegen Astronauten mithilfe von Orion und dem Space Launch System, das neue Raumschiff und die neue Schwerlastträgerrakete der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtagentur NASA, zu dem ARV und erforschen den Asteroiden. Diese Mission wurde noch nicht von dem US-Kongress bewilligt, ihr endgültiger Ablauf wird momentan noch festgelegt.

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Das ARV (Option A) führt einen vorher eingefangenen Asteroiden zurück.
(Bild: NASA)

Eine wichtige Entscheidung bezüglich dieses Missionskonzeptes steht nun kurz bevor: Das ARV kann entweder einen kleinen Asteroiden als Ganzes in einen Beutel verstauen oder einen kleineren Brocken von der Oberfläche eines großen Asteroiden wegreißen. Ursprünglich sollte diese Entscheidung bereits Mitte Dezember fallen, jedoch wollten die Verantwortlichen noch mehr Daten sammeln. Die Entscheidung steht nun am 28. Februar an, es ist aber möglich, dass sie vorgezogen wird.

Option A: Rückführung eines kleinen Asteroiden als Ganzes

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Das ARV (Option A) fängt mithilfe eines Beutels einen kleinen Asteroiden ein- Illustration.
(Bild: NASA)

Bei dieser Variante würde das ARV einen kleinen Asteroiden als Ganzes mithilfe eines Beutels an der Vorderseite einfangen. Die Sonde würde entweder auf einer Trägerrakete vom Typ Delta IV Heavy oder dem Space Launch System zu einem NEA fliegen. Der Start könnte ab Mitte 2019 bis 2021 erfolgen. Das ARV nähert sich dem Asteroiden an und untersucht ihn zunächst 14 Tage lang. Danach wird zwei Tage lang planetare Verteidigung demonstriert. Sollte sich eines Tages ein großer Asteroid auf Kollisionskurs mit der Erde befinden, könnte die NASA ein Raumfahrzeug starten, das sich dem Asteroiden annähert. Die minimale Schwerkraft, die dann von diesem Raumfahrzeug ausgeht, lenkt den Asteroiden leicht von seiner bisherigen Bahn ab, sodass er die Erde verfehlt. Diese Technologie unter dem Namen planetare Verteidigung möchte die NASA bei Asteroid Retrieval testen. In fünf Tagen wird daraufhin der Asteroid in den Beutel eingefangen, mit 30 Tagen Reserve. Danach wird der Asteroid zurück zum Erde-Mond System befördert, das ARV schwenkt in eine Umlaufbahn um den Mond ein. Dieses Manöver dauert 1-3 Jahre. Das ARV verfügt zu diesem Zweck über einen solarelektrischen Antrieb. Bei dieser Technologie wird elektrisch geladenes Stützgas (wahrscheinlich Xenon) mithilfe von elektromagnetischen Feldern beschleunigt und aus dem Raumfahrzeug geleitet. Die benötigte elektrische Energie dafür stammt von 50 kW-Solarzellen. Dieser Antrieb erzeugt zwar verglichen mit gewöhnlichen Raketenantrieben nur einen geringen Schub, ist aber sehr effizient.

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Ein Diagramm der Masse des Asteroiden, die mit Option A zurückgeführt werden kann.
(Bild: NASA)

Die Masse des zurückgeführten Asteroiden hängt von dem Starttermin, dem Termin, an dem die Rückführung abgeschlossen sein soll, und der verwendeten Trägerrakete ab. Bei einem Start 2019 bis Ende 2020 ist eine zurückgeführte Masse des Asteroiden von 200 bis 100 Tonnen möglich, wenn die Rückführung 2023 abgeschlossen sein soll. Mit dem Space Launch System sind immer ein paar Tonnen mehr möglich, dafür ist der Startpreis dieser Rakete deutlich teurer als der der Delta IV Heavy. Bei einer Rückführung bis 2024 sind mit beiden Trägerraketen deutlich höhere Massen möglich. Bei einer Rückführung bis 2026 oder 2027 liegen die Werte mit beiden Trägerraketen deutlich niedriger, da dann ein Asteroid mit einer anderen Bahn (2013 EC20) angeflogen wird.

Option B: Entnahme einer kleinen Probe von einem größeren Asteroiden

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Das ARV entnimmt eine Probe von der Oberfläche eines größeren Asteroiden- Illustration.
(Bild: NASA)

Bei dieser Variante würde das ARV mithilfe von Greifarmen einen kleinen Brocken von der Oberfläche eines großen Asteroiden entnehmen. Genauso wie bei Option A soll der Start mit dem Space Launch System oder der Delta IV Heavy ab Mitte 2019 bis 2021 erfolgen. Das ARV nähert sich dem Asteroiden an und untersucht ihn zunächst 72 Tage. Dann wird eine kleine Probe von der Oberfläche entnommen, was 69 Tage dauern soll. Danach wird wie bei Option A planetare Verteidigung demonstriert, und zwar 150 Tage lang, wovon 120 Tage Wartezeit auf eine Verifizierung der Ergebnisse sind. Danach schwenkt das ARV in eine Mondumlaufbahn ein. Die zurückgeführte Masse der Probe beläuft sich auf etwa 60 bis 10 Tonnen, wenn der Start zwischen 2019 und 2021 stattfinden und die Rückführung zwischen 2024 und 2027 abgeschlossen sein soll. Angenommen wird dabei, dass der Asteroid sich auf der Bahn von 2008 EV5 befindet. Erneut liegen beim Einsatz des Space Launch System die Werte für die zurückgeführte Masse etwas höher als bei der Delta IV Heavy.

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Das ARV (Option B) führt eine Demonstration planetarer Verteidigung durch- grafische Darstellung.
(Bild: NASA)

Die Entscheidung zwischen beiden Optionen wird nicht leicht sein. Option B gilt als technisch anspruchsvoller und wird etwa 100 Millionen Dollar teurer sein, dafür würden mehr Technologien für eine Marsmission demonstriert werden und die Technologie dieser Option für spätere Missionen erneut verwendet werden könne. Das Kostenziel zuzüglich der Trägerrakete liegt bei beiden Optionen bei 1,25 Milliarden Dollar. Beide Optionen sind technisch möglich. Robert Lightfoot, der stellvertretende Leiter der NASA, deutete an, dass die Entscheidung sehr knapp werden würde.

NASA
In der Testumgebung für Option A wird ein simulierter Asteroid in eine Testversion des Beutels hineingelassen.
(Bild: NASA)

Die Arbeiten an der Asteroid Retrieval Mission sind bereits im vollen Gange. Teleskope am Boden und im Weltall suchen nach geeigneten Zielasteroiden, für jede Option wurden bereits drei gefunden. Auch entwickelt man die Technologie des solarelektrischen Antriebs weiter. Darüber hinaus wurden der Zeitplan und die Kostenschätzung aktualisiert. Außerdem laufen bereits vorläufige Arbeiten an beiden Varianten des ARVs, die zum Ziel haben, dass das Einfangen des Asteroiden bei der realen Mission ungefährlich verläuft. Zahlreiche Computersimulationen wurden durchgeführt, des Weiteren wurden Testumgebungen am Boden angelegt. Bei diesen Anlagen wird ein simulierter Asteroid mithilfe von Testversionen des ARVs eingefangen, Option A verfügt über eine Testumgebung im Maßstab 1:5, Option B über eine im Maßstab 1:1. Dabei werden Kräfte gemessen, die auf die Hardware wirken, sodass der Einfangmechanismus besser auf die erwarteten Bedingungen ausgelegt werden kann.

KSC
In einer Halle auf dem Gelände des Kennedy Space Centers wird die Orion-Kapsel nach ihrem Erstflug inspiziert.
(Bild: KSC)

Ebenfalls sollen bei Asteroid Retrieval das neue Raumschiff der NASA, Orion, und die neue Schwerlastträgerrakete zum Einsatz kommen, das Space Launch System (SLS). Das SLS wird ein bemanntes Orion-Raumschiff zum Mond befördern, das daraufhin mithilfe eines Fly-By Manövers in dieselbe Mondumlaufbahn einschwenkt, auf der sich auch das ARV mit dem Asteroiden befindet. Orion dockt an das ARV an und die Astronauten in Raumanzügen führen mehrere Außenbordmanöver an dem Asteroiden durch, bei denen sie Proben von seiner Oberfläche nehmen und genauere Daten sammeln. Nach etwa einer Woche dockt Orion wieder ab und fliegt wieder zur Erde zurück, wo die Astronauten in dem kapselförmigen Crewmodul sanft mithilfe von Fallschirmen im Ozean landen. Orion befindet sich noch in der Entwicklung, im Dezember absolvierte das Raumschiff seinen ersten Testflug. Gegenwärtig wird diese Orion-Kapsel sorgfältig analysiert, damit das Design des Raumschiffs verbessert werden kann. Wenige mögliche Probleme wurden erkannt, an ihrer Lösung wird gearbeitet. Auch das SLS befindet sich noch in der Entwicklung, gegenwärtig werden eine Testzündung des Boosters und Testzündungen des Haupttriebwerks vorbereitet. Das SLS und Orion werden diesen Sommer ihr Critical Design Review absolvieren, eine rigorose Designprüfung, bei der das endgültige Design festgelegt wird.

NASA
Eine Mission zum Marsmond Phobos auf Basis des ARVs- Illustration.
(Bild: NASA)

Die Ziele von Asteroid Retrieval sind klar festgelegt: Zum einen sollen Asteroiden, die Menschen auf der Erde gefährlich werden könnten, besser erfasst und verfolgt werden. Auch sollen Technologien für planetare Verteidigung getestet werden, die das Risiko für einen vernichtenden Einschlag dieser Asteroiden senken. Darüber hinaus ist es natürlich ebenfalls ein Ziel, unser Wissen über Asteroiden zu erweitern. Doch das wichtigste Ziel ist es, Technologien zu testen, die für das Fernziel der NASA notwendig: Ein bemannter Flug zum Mars in den 2030er Jahren. Dazu zählt etwa der solarelektrische Antrieb. Auch soll die Technologie von Asteroid Retrieval für andere Missionen einsetzbar sein, wie etwa einer Landung auf dem Marsmond Phobos. Jedoch wurde von der NASA immer noch kein Plan vorgestellt, wie eine bemannte Marsmission tatsächlich verlaufen soll.

Boeing
Ein Vorschlag des Unternehmens Boeing für eine bemannte Mondlandung- Illustration.
(Bild: Boeing)

Unumstritten ist Asteroid Retrieval nicht: Das NASA Advisory Council, Berater der NASA, ist skeptisch, ob Asteroid Retrieval tatsächlich eine bemannte Marsmission vorbereitet. NASA-Administrator Bolden, der diese Vorwürfe bestritt, wirkte auf die Berater nicht überzeugend. Der Berater Thomas Young drückte Folgendes aus: „Wenn wir zeigen, dass wir einen Asteroiden zurückführen können, hat das nichts mit einer Marsmission zu tun.“ Auch der republikanische US-Kongressabgeordnete Steven Palazzo hält Asteroid Retrieval für eine Geldverschwendung, die nicht eine Marsmission vorbereitet. Stattdessen will er sich im Kongress dafür einsetzen, dass eine bemannte Rückkehr zum Mond stattfindet. Das war bereits Ziel des Constellation-Programms, das 2010 aus Kostengründen eingestellt wurde. Ob hinter den populistisch anmutenden Aussagen Palazzos tatsächlich ein Versuch steht, bemannte Mondlandungen auf politischer Ebene als das Ziel der NASA durchzusetzen, ist jedoch noch nicht abzuschätzen.

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