Nach dem Abschluss der Primärmission des Kometenlanders Philae wird sich die Raumsonde Rosetta in den kommenden Monaten wieder auf ihre eigene Mission konzentrieren. In den nächsten Tagen soll sich Rosetta dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko dabei zunächst auf eine Entfernung von bis zu 20 Kilometern nähern. Erst im nächsten Jahr ist eventuell eine erneute Kontaktaufnahme mit Philae möglich.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: DLR, ESA.
Am 12. November 2014 erreichte der von der Raumsonde Rosetta mitgeführte Kometenlander Philae die Oberfläche des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko (der Einfachheit halber ab hier als „67P“ abgekürzt). Dort kam Philae schließlich nach einer dreifachen Landung an einem ungeplanten Standort zum Stehen, welcher aufgrund der dort gegebenen Beleuchtungsverhältnisse keine Möglichkeit bot, die begrenzten Energiereserven zu erneuern. Trotzdem konnte der Lander – mit der Energie aus seiner auf eine Einsatzdauer von etwa 60 Stunden ausgelegten Primärbatterie versorgt – in den folgenden Stunden eine Vielzahl an Messungen durchführen. Die dabei gesammelten Daten der zehn Instrumente des Landers wurden regelmäßig bei jedem sich öffnenden Kommunikationsfenster an die Erde übertragen, bevor die Energiereserven am 15. November so weit erschöpft waren, dass sich Philae in einen „Schlafmodus“ versetzte.
CASSE zeichnete die Geräusche der ersten Landung auf
Bei einem der Instrumente von Philae handelt es sich um das akustische Seismometer CASSE (kurz für „Cometary Acoustic Surface Sounding Experiment“), welches zusammen mit zwei weiteren Einzelinstrumenten den SESAME-Instrumentenkomplex bildet. CASSE besteht aus drei in den Landerbeinen untergebrachten piezoelektrischen Wandlern zur Erzeugung von akustischen Signalen und einem Empfänger, welcher ebenfalls auf der Basis piezoelektrischer Elemente arbeitet. Dies entspricht dem Prinzip eines Lautsprechers und eines Mikrofons.
CASSE wurde bereits während des Landeanfluges an 67P aktiviert und hat dabei die Vibrationen eines Schwungrades wahrgenommen, welches den ‚Flug‘ von Philae während der Abstiegsphase zu der Kometenoberfläche stabilisierte. Bei der ersten von insgesamt drei Landungen auf dem Kometen registrierte das Instrument zudem deutlich den ersten Kontakt der Landerbeine mit der Kometenoberfläche. Diese lediglich etwa zwei Sekunden lange, aber wissenschaftlich und zudem auch historisch bedeutsame Audiosequenz dokumentiert den allerersten Bodenkontakt eines Raumfahrzeuges mit einem Kometen und kann auf dieser Internetseite des DLR abgerufen werden (MP3-Datei, 88 kB). Diese Sequenz ist für die Wissenschaftler deutlich aufschlussreicher, als es sich für den Laien anhört.
„Es war ein komplizierter Bodenkontakt, aber wir können die Daten wissenschaftlich auswerten“, so Dr. Martin Knapmeyer, Geophysiker am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und einer der Mitarbeiter des CASSE-Teams. „Erst setzt der Lander Philae auf einer mehreren Zentimeter dicken, weichen Schicht auf, dann treffen die Füße einige Millisekunden später auf eine harte, vielleicht eisige Schicht auf Tschurjumow-Gerasimenko“, erläutert Dr. Klaus Seidensticker vom DLR, der für das komplette SESAME-Instrument zuständige leitende Wissenschaftler, den hier hörbaren kurzen und scharfen Ton.
Nach dem ersten Bodenkontakt prallte Philae zunächst wieder von der Kometenoberfläche ab, da die beiden zur Verankerung des Landers auf der Oberfläche gedachten Harpunen nicht ausgelöst wurden. Aus den Daten des CASSE geht hervor, dass nach dieser ersten Landung innerhalb der folgenden 30 Minuten kein weiterer Bodenkontakt erfolgte. Dies deckt sich mit den Telemetriewerten des Landers und den Daten von anderen Instrumenten, welche belegen, dass Philae seinen endgültigen Standort vielmehr erst zwei Stunden nach dieser ersten Landung erreichte.
Nach dem Erreichen dieses finalen Landeortes wurde auch CASSE erneut aktiviert und registrierte dabei unter anderem das Hämmern der Thermalsonde MUPUS. Vermutlich führten die dabei aufgetretenen Vibrationen dazu, dass die Landefüße von Philae während dieses Vorgangs zeitweise den Kontakt mit dem Untergrund verloren, denn das MUPUS-Signal wurde von CASSE nicht in allen Füßen gleichzeitig registriert.
Kein Staub, dafür aber Wassereis
Auch die beiden anderen Instrumente des SESAME-Experiments konnten während der Betriebsphase von Philae aktiviert werden und Daten zur Erde übermitteln. Die Daten des DIM-Instruments (kurz für „Dust Impact Monitor“) lassen nach ersten Auswertungen darauf schließen, dass der Komet 67P am finalen Standort des Landers derzeit nicht aktiv ist, denn die Wissenschaftler konnten mit dem DIM kein einziges Staubteilchen registrieren. Das PP-Instrument (kurz für „Permittivity Probe“) schickte von einer der Fußsohlen der Landerbeine Wechselströme unterschiedlicher Frequenz durch den Kometenboden und konnte dabei feststellen, dass sich unterhalb von Philae offenbar eine größere Menge Wassereis befindet.
Als am 12. November 2014 bereits kurz nach dem ersten Aufsetzen klar war, dass die Harpunen den Lander nicht verankert hatten und Philae sehr wahrscheinlich von der Oberfläche abgeprallt war, befürchtete Dr. Seidensticker zunächst einen ungünstigen Ausgang der Mission. „Aber jetzt haben wir viel mehr Messdaten, als ich mir zu diesem Zeitpunkt auch nur erhofft hatte.“ Deren Auswertung wir die beteiligten Wissenschaftler noch lange Zeit beschäftigen.
Eis unter einer lockeren Staubschicht
Weitere Messdaten stammen von dem Instrument MUPUS. Diese Thermalsonde hat mit mehreren Sensoren die Oberflächentemperatur und oberflächennahen Temperaturprofile, die thermische Leitfähigkeit des Oberflächenmaterials sowie die Festigkeit und die Dichte der kometaren Materie ermittelt. In der Nacht vom 13. auf den 14. November 2014 wurde MUPUS dazu aus seiner Instrumentenbucht an der hinteren Seitenwand des Landers ausgefahren und sollte sich rund 40 Zentimetern tief in den Kometenboden ‚hämmern‘. Dies misslang jedoch, obwohl die Hammerleistung der Sonde schrittweise auf die höchstmögliche Stufe erhöht wurde.
„Aus Vergleichsmessungen im Labor haben wir abgeschätzt, dass die Thermalsonde wahrscheinlich unter einer zehn bis 20 Zentimeter dicken Staubschicht auf eine Schicht gestoßen sein muss, die eine Festigkeit wie die von Eis haben sollte“, so Prof. Tilman Spohn vom DLR, der das MUPUS-Team leitet. Der Infrarotsensor von MUPUS hat dabei eine geringe thermische Trägheit der aufliegenden Staubschicht festgestellt. Die Kometenforscher gehen davon aus, dass sich unter einer die Oberfläche bedeckenden sehr porösen Staubschicht Eis befindet. Dieses Eis enthält wahrscheinlich ebenfalls Staub und könnte ursprünglich ebenfalls porös gewesen sein. Über Zeiträume von Jahrhunderten bis Jahrmillionen wurde dieses Eis jedoch durch auftretende Temperaturschwankungen immer mehr gesintert und dabei zunehmend verfestigt und ‚zusammengebacken‘.
Temperaturmessungen
Des weiteren konnte MUPUS eine Temperaturmessung durchführen. Im Bereich der Landestelle des Landers herrscht demzufolge eine Oberflächentemperatur von circa minus 170 Grad Celsius, was die ‚Härte‘ des im Untergrund befindlichen Eises erklären könnte.
„Das ist eine Überraschung! Mit solch hartem Eis im Boden haben wir nicht gerechnet“, so Prof. Tilman Spohn. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass viele Messungen möglich waren und werten die Daten derzeit aus. MUPUS könnte wieder zum Einsatz kommen, wenn wir ausreichend Energie aufladen können. Dann können wir die Schicht untersuchen, auf der die Sonde steht, und beobachten, wie sich der Komet auf dem Weg näher zur Sonne entwickelt.“
Es besteht durchaus die eventuelle Möglichkeit, dass der Lander seinen derzeitigen Schlafmodus beendet, sobald sich die an seinem derzeitigen und im Detail immer noch unbekannten Aufenthaltsort gegebenen schlechten Lichtverhältnisse verbessern. Im Frühjahr oder spätestens im Sommer 2015 könnten sich dabei eine Beleuchtungs- und Temperatursituation ergeben, welche ein Aufladen der Batterien und damit eine Weiterführung der Philae-Mission ermöglicht.
Neuer Missionsschwerpunkt: Die Arbeiten des Orbiters
Bis auf weiteres werden sich die an der Mission beteiligten Wissenschaftler jedoch mit den Daten zufrieden geben müssen, welche die elf wissenschaftlichen Instrumente der Raumsonde Rosetta liefern. Dank voll funktionsfähiger Systeme und Instrumente befindet sich der Kometenorbiter auch weiterhin in einem hervorragenden Zustand. Rosetta soll den Kometen 67P auch weiterhin umkreisen und dieses Relikt aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems dabei bis mindestens zum Ende des Jahres 2015 auf seinem Weg in das innere Sonnensystem begleiten und auch weiterhin intensiv untersuchen.
„Nun, da Rosetta ihren Lander abgesetzt hat, wird sie ihre wissenschaftliche Beobachtungsroutine wieder aufnehmen und zur Kometen-Begleitphase übergehen. Diese wissenschaftliche Datenerfassungsphase wird bis ins nächste Jahr andauern, wobei sich Sonde und Komet immer weiter an die Sonne annähern und am 13. August 2015 ihren Periheldurchgang, das heißt ihre engste Sonnenannäherung mit 186 Millionen Kilometern, bestreiten werden“, so der für die Rosetta-Mission verantwortliche Flugdirektor Andrea Accomazzo von der ESA.
Nachdem die Flugbahn von Rosetta seit deren Ankunft bei 67P am 6. August 2014 zunächst ganz auf die Anforderungen des Landers ausgerichtet war, wird diese ab der kommenden Woche ganz darauf ausgelegt sein, die wissenschaftlichen Untersuchungen der elf Instrumente des Orbiters zu unterstützen. In den letzten Tagen wurden bereits mehrere kleinere Kurskorrekturmanövern durchgeführt, mit denen die Flugbahn der Kometensonde für den zukünftigen Einsatz der dort befindlichen Instrument optimiert wurde. Durch zwei weitere Zündungen der Triebwerke, welche am 22. und am 26. November erfolgen werden, soll Rosetta auf eine Flugbahn befördert werden, welche in einer Höhe von etwa 30 Kilometern über 67P verläuft.
20 Kilometer über der Oberfläche
Am 3. Dezember 2014 wird Rosetta dann für einen Zeitraum von etwa zehn Tage auf eine Höhe von 20 Kilometern ‚absinken‘ bevor erneut ein in etwa 30 Kilometern Höhe verlaufender Orbit eingenommen werden soll.
„Das Ziel ist es, die Sonde so nah wie möglich an den Kometen heranzubringen, bevor die Aktivität so hoch wird, dass kleine [enge] Orbits nicht mehr aufrechtzuerhalten sind“, so Laurence O’Rourke von der ESA. „Die wissenschaftlichen Teams werden die Flugbahnsenkung auf 20 Kilometer dazu nutzen, große Teile des Kometenkerns in hoher Auflösung zu kartieren und bei ansteigender Aktivität Gas, Staub und Plasma zu untersuchen.“
Zunehmende Aktivität des Kometen
Kometen sind Überreste aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems, welche sich auf elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne bewegen. Den Großteil ihrer Existenz fristen diese auch als ’schmutzige Schneebälle‘ bezeichneten Objekte fernab der Sonne als kalte, nahezu unveränderliche Brocken aus Eis, Staub und gefrorenen Gasen. Erst wenn sich ein Komet auf seiner langgezogenen Umlaufbahn der Sonne bis auf eine Entfernung von etwa fünf Astronomischen Einheiten – dies entspricht in etwa 750 Millionen Kilometern – nähert, setzt eine zunächst allerdings noch sehr langsam ablaufende Verwandlung ein.
Aufgrund der steigenden Temperaturen sublimieren die leichtflüchtigen Bestandteile des Kometenkerns – in erster Linie handelt es sich dabei um gefrorenes Wasser, Kohlenstoffdioxid, Methan und Ammoniak – und entweichen mit Geschwindigkeiten von bis zu einigen hundert Metern in der Sekunde in das umgebende Weltall. Dabei reißen diese freigesetzten Gase regelrechte Fontänen aus Staub mit sich. Diese Teilchen formen zunächst eine Koma welche den Kometenkern vollständig einhüllt. Aus dieser Kometenkoma entwickelt sich aufgrund des von der Sonne ausgehenden Strahlungsdrucks anschließend auch ein ‚Schweif‘, welcher den Kometen ihr charakteristisches Aussehen verleiht.
Rosetta wird die erste Sonde in der Weltraumgeschichte der Menschheit sein, welche die Entwicklung einer Koma und des daraus resultierenden Kometenschweifs, der sich gegebenenfalls Millionen von Kilometer durch das Weltall ziehen kann, ‚direkt‘ mitverfolgen wird. Im weiteren Missionsverlauf wird Rosetta während des Jahres 2015 deshalb wohl auch einen größeren Abstand zu dem Kometen einnehmen müssen, um zu verhindern, dass ihre Flugbahn durch die Koma beeinträchtigt wird oder dass mit der Raumsonde kollidierende Staubpartikel deren Instrumente beschädigen.
Die gegenwärtigen Planungen der zukünftigen Umkreisungen des Kometen beinhalten deshalb zwei verschiedene Flugbahnen – „Bevorzugt“ und „Hoch aktiv“. Zwar wird von den Beteiligten angestrebt, in Zukunft so lange wie möglich die ‚bevorzugte‘ Flugbahn einzuhalten, doch für den Fall, dass die Kometenaktivität zu sehr ansteigt und es damit für Rosetta zu ‚riskant‘ wird, kann die Raumsonde gegebenenfalls in die für das Szenario „Hoch aktiv“ vorgesehene, in größerer Entfernung zum Kometen verlaufende Umlaufbahn ausweichen.
Hoffnung für Philae
Ein ‚Nebeneffekt‘ der zunehmenden Aktivität des Kometen besteht darin, dass sich mit einer zunehmenden Annäherung an die Sonne auf dessen Oberfläche in Zukunft auch die derzeit gegebenen Beleuchtungs- und Temperaturbedingungen verbessern werden. Hierdurch bedingt könnte in Zukunft wieder ausreichend Sonnenlicht zur Verfügung stehen, damit der Lander Philae aus seinem Winterschlaf erwacht und sich reaktiviert. Dieses Szenario könnte allerdings frühestens ab dem Frühjahr 2015 eintreten. Unabhängig von den ungewissen Erfolgsaussichten wird Rosetta bereits Anfang des nächsten Jahres in einen Modus versetzt, in dem die Raumsonde automatisch in regelmäßigen Abständen nach Funksignalen von Philae lauschen wird.
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