New Horizons – fast Halbzeit bei der Datenübertragung

Nach und nach werden Bild- und sonstige Daten aus dem Datenspeicher der Sonde New Horizons zur Erde übertragen. Das soll so noch bis Herbst anhalten. Auch ein halbes Jahr nach dem Vorbeiflug am Pluto-System werden immer neue spektakuläre Bilder veröffentlicht. Bei ihrer Interpretation bleiben die Wissenschaftler vorsichtig.

Erstellt von Roland Rischer. Quelle: NASA, JHUAPL, SwRI

Überflug-Mosaik mit Details von Sputnik Planum: Der Streifen ist 700 Kilometer lang und 80 Kilometer breit. Aus 17.000 Kilometern Entfernung aufgenommen bieten die Bilder eine Auflösung von 77 bis 85 Meter pro Bildpunkt.
(Bild: NASA, JHUAPL, SwRI, )
Überflug-Mosaik mit Details von Sputnik Planum:
Der Streifen ist 700 Kilometer lang und 80 Kilometer
breit. Aus 17.000 Kilometern Entfernung aufgenommen bieten die Bilder eine Auflösung
von 77 bis 85 Meter pro Bildpunkt.
(Bild: NASA, JHUAPL, SwRI, )

Bislang sind weniger als die Hälfte der Daten über das Pluto-System zur Erde übertragen. Aber bereits jetzt wird die enorme Bandbreite neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sichtbar. So äußerte sich sinngemäß Alan Stern, Leiter des New-Horizons-Forschungsteams am US-amerikanischen Southwest Research Institute in Boulder, Colorado, unlängst auf der Herbsttagung der American Geophysical Union in San Francisco. Selbst wenn man Alan Stern und die vielen anderen, mit New Horizons-Daten befassten Forscher nicht persönlich kennt, kann man aus ihren Stellungnahmen und Zitaten auch nach einem halben Jahr noch entnehmen, dass sie ihr Glück kaum fassen können. Nicht nur die Technik der Sonde funktionierte nach neuneinhalb Jahren des Anflugs im entscheidenden Augenblick des kurzen Vorbeiflugs tadellos (sieht man von der überraschenden Aktivierung des Sicherheitsmodus zehn Tage vor der nächsten Annäherung ab). Zum Forscherglück gehört auch, was man dann seitdem mit fast jedem übertragenem Bild vom Pluto zu sehen bekommt: Eine überraschend erdähnlich Welt, wenn man davon absieht, dass alles um über 200 Grad Celsius kälter ist, mit vergleichsweise jungen Oberflächenstrukturen.

Das eine oder andere hätte man sich denken können
Obwohl – es gab schon so eine Ahnung, zumindest kann man das bei Dr. Orkan Umurhan, einer der Wissenschaftler im New Horizons-Team „Geology and Geophysics Investigation“ (GGI) und Astrophysiker mit Spezialgebiet protoplanetare Scheiben, herauslesen. Er wurde bereits vor zwei Jahren von Alan Stern und Jeff Moore (Leiter des GGI-Teams) mit der Aussicht angeworben, mit Pluto und Charon eine Welt analysieren zu können, wie er sie noch nie zuvor gesehen habe. Konkret ging es im Vorstellungsgespräch um das Verhalten verschiedener Elemente in gefrorener und möglicherweise auch flüssiger Form bei Temperaturen und Drücken.

Im Nachhinein wundert sich Umurhan selbst, warum er und alle anderen um ihn herum so überrascht waren. Denn bereits vorher wusste man, dass der Triple-Punkt für Kohlenmonoxid und Stickstoff auf dem Pluto aufgrund der dortigen Tiefsttemperaturen von rund minus 230 Grad Celsius im Bereich des Möglichen lag. Der Triple-Punkt oder auch Dreiphasenpunkt bestimmt in einem Temperatur-Druck-Diagramm jene Kombination, bei der ein Element sowohl fest als auch flüssig oder gasförmig vorliegt.

Ein Schlüssel zum Verständnis vieler geologischer Aktivitäten auf Pluto liegt nach Überzeugung der Forscher in der Rolle der mächtigen Schicht aus Stickstoff-Eis und anderen gefrorenen und dennoch flüchtigen Gasen (Methan und Kohlenmonoxid), die die linke Seite von Plutos „Herz“ ausmachen, eine ausgedehnte Ebene von 1.000 Kilometern Durchmesser mit dem informellen Namen Sputnik Planum. Der in der Ebene verdunstende Stickstoff schlägt sich in den umgebenden höheren Regionen nieder und fließt in Gletschern zurück in die Ebene. Der Prozess formt die Pluto-Landschaft bis heute. Umurhan arbeitet an einer modellhaften Reproduktion einzelner Landschaftsformen unter diesen Bedingungen.

Dabei müssen etliche Annahmen getroffen werden. Basis sind unter anderem Laborergebnisse zum Fließverhalten von Stickstoff unter solchen Temperaturen. Schneller als Gletschereis auf der Erde, aber doch noch so langsam, dass die Fließgeschwindigkeit in Dutzenden von Jahren gemessen werden muss. Laborversuche sind nach Umurhans Worten keineswegs eine ausreichende Basis zur Parameterbestimmung. Hinzu komme, dass zwar die vorkommenden Elemente und Verbindungen an der Oberfläche (Stickstoff, Kohlenmonoxid und Methan) in und um Sputnik Planum zuverlässig bestimmt werden konnten, aber noch nicht deren relativen Anteile. Das ist für die Bestimmung der Viskosität (oder Zähflüssigkeit) durchaus von Bedeutung. Zudem werde nur angenommen, dass das Hochland aus extrem harten Wassereis besteht, quasi der „Felsengrund“, der von einer dünnen Schicht aus Stickstoff- und/oder Kohlenmonoxid-Eis überzogen ist.

Alles in Bewegung
Sputnik Planum liegt einige Kilometer unterhalb der umgebenden Berge. Man darf sich das Planum aber nicht als perfekte Ebene vorstellen. Im Licht der tiefstehenden Sonne zeigt sich, dass sich die Polygone (oder Zellen) mit 16 bis 40 Kilometer Durchmesser zur Mitte um bis zu rund 100 Meter aufwölben. Das überwiegend aus Stickstoff bestehende Eis in der Ebene scheint zusätzlich, vergleichbar mit den Vorgängen im Erdmantel, einer langsamen Wärmekonvektion unterworfen zu sein, weil es in vermutlich mehreren Kilometern Tiefe wärmer ist als an der Oberfläche. Fester Stickstoff wird elastisch, steigt in großen Blasen auf, kühlt aus und sinkt erneut ab.

William McKinnon von der Washington Universitiy in St. Louis und stellvertretender Leiter des NH-Geologen-Teams vergleicht das mit einer Lavalampe. Die Grabenbrüche zu den Nachbarzellen markieren jene Stellen, an denen der an der Oberfläche abgekühlte, aber immer noch zähfließende Stickstoff wieder absinkt. Hier wäre zu klären, ob das ganz spannungsfrei erfolgt oder, angelehnt an die Plattentektonik auf der Erde, es zu Verspannungen kommt, die zu Beben führen.

Die auf Sputnik Planum zu erkennenden Muster aus den zahlreichen, ca. 10 Meter tiefen Gruben, die sich teilweise in die Länge ziehen, seien möglicherweise die Folge punktuell starker Sublimation von Stickstoff und eventuell auch Methan.

Alan Howard von der University of Virginia in Charlottesville, USA, ist Mitarbeiter im New Horizons-Team „Geology, Geophysics and Images“ und resümiert, es seien Nachweise ausgedehnter glazialer Aktivitäten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart gefunden worden, einschließlich ganzer Netze von erodierten Tälern, teilweise auch sogenannte hängende Täler, bei denen das Tal an einer Cliff-Kante abbricht und sich an tieferer Stelle fortsetzt. „Pluto hat unsere Erwartungen hinsichtlich der Vielfalt von Landschaften und geologischen Prozessen erheblich erweitert – Prozessen, die bis heute anhalten“, so Alan Howard.

Diese Aufnahme hat das Zeug zur Bild-Ikone. Bisher kannte man solche Bilder einer dünnen blauen Atmosphärenschicht nur von der Erde. Es hat wohl kaum einer je im Traum daran gedacht, dass am Pluto einmal ähnliche Aufnahmen möglich sind.
(Bild: NASA, JHUAPL, SwRI)
Diese Aufnahme hat das Zeug zur Bild-Ikone. Bisher
kannte man solche Bilder einer dünnen blauen
Atmosphärenschicht nur von der Erde. Es hat
wohl kaum einer je im Traum daran gedacht, dass
am Pluto einmal ähnliche Aufnahmen möglich sind.
(Bild: NASA, JHUAPL, SwRI)

Faszinierende Atmosphäre
In den letzten Monaten kamen von New Horizons auch Daten zu den atmosphärischen Dunstschichten, die Pluto bis in mehrere hundert Kilometer Höhe umgeben. Das Wissenschaftsteam geht nun mehreren Fragen zur Pluto-Atmosphäre nach: Wo entsteht der Dunst, warum bildet er Schichten und wie verändern sich diese um den Pluto herum.

„Wie fast alles auf Pluto erweist sich der Dunst auf Pluto erheblich komplizierter als gedacht“, stellt Andy Cheng, New Horizons Co-Investigator am John Hopkins University Applied Physics Laboratory in Laurel, Maryland. „Aber mit den bereits jetzt vorhandenen, ausgezeichneten New Horizons-Daten erwarten wir bald ein besseres Verständnis.“

So glauben die Wissenschaftler, dass der Dunst das Ergebnis fotochemischer Reaktionen des Methans und anderer Moleküle mit dem Sonnenlicht ist. Ergebnis sind Kohlenwasserstoffe, Acetylen und Ethylen, die sich zu Partikeln im Mikrometer-Bereich verbinden und im Sonnenlicht als leuchtend blauer Dunst erscheinen.

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