Die Namensschilder, die am Anfang der Veranstaltung ausgeteilt wurden, haben die meisten Teilnehmer im Laufe der Veranstaltung weggelassen – größtenteils kannte man sich nämlich schon. Trotzdem war dieses Jahr manches anders als sonst.
Ein Beitrag von Kirsten Müller.
Los ging es eigentlich schon am Freitag Vormittag: wer Interesse hatte, konnte mit nach Peenemünde fahren. Dort wurde man nicht nur, wie sonst, zu Prüfstand VII geführt, von wo die erste V2 gestartet worden war, sondern auch zu einigen anderen Prüfständen und historischen Stätten und man bekam das kleine Museum am Müggenhof gezeigt. Beim Historisch-Technischen Museum, im ehemaligen Kraftwerk, fand am Nachmittag die sehr gut besuchte Vortragsveranstaltung mit dem italienischen ESA-Astronauten Paolo Nespoli und dem DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn statt. Vor allem wegen letzterem haben viele Tagesgäste den Weg ins abgelegene Usedom gemacht. Dem Ort angemessen, hielt Jähn einen Vortrag, in dem er zuerst auf die Geschichte der Raumfahrt und die Rolle Peenemündes darin einging, und dann von seinen eigenen Erfahrungen vor, während und nach seiner Mission berichtete. Auch auf die anderen Deutschen im Weltraum, die Astronauten der „alten Bundesrepublik“ sowie die Deutschen, die nach der Wende geflogen waren, ging er ein – zuletzt natürlich auf Alexander Gerst, dessen Start er in Baikonur live miterlebt hatte.
Paolo Nespoli begrüßte das Publikum mit den Worten, er habe die Einladung vor allem angenommen wegen der Gelegenheit, mal das geschichtsträchtige Peenemünde zu sehen und auch Sigmund Jähn Hallo zu sagen. Die Museumstour fand er, als gelernter Raumfahrtingenieur, wegen der „gefühlt 200 Jahre alten“ Originalteile sehr interessant, und er freue sich schon darauf, vor so vielen begeisterten Leuten zu sprechen und Autogramme zu geben. Beim anschließenden Forum hat er Fragen nach Raumfahrtpolitik und nach dem ATV und Orion eher diplomatisch-neutral beantwortet, und zum Kalten Krieg hat er keine Meinung geäußert. Bemerkenswert war die lange Schlange bei der anschließenden Autogrammstunde, bei der die meisten Anwesenden natürlich hauptsächlich „ihren eigenen“ Sigmund Jähn treffen wollten.
Parallel zum Besuch in Peenemünde fand am Freitag Nachmittag in Neubrandenburg das Forum Space 3000 – Phänomene-Mysterien-Visionen statt, mit Beiträgen zu Zukunftstechnologien, Zeitreisen, außerirdischem Leben und Antimaterie. Abendessen gab es nicht wie sonst im Seglerheim, sondern im Hotel am Ring. Dort ließ es sich der sympathische Paolo Nespoli nicht nehmen, nach dem Essen an jedem einzelnen Tisch zu einem kurzen Smalltalk vorbeizuschauen.
Die nächste Autogrammstunde fand in der Galeria Kaufhof am Samstag Morgen statt, vor der Hauptveranstaltung im Albert-Einstein-Gymnasium. Letztere war, wie der Freitag in Peenemünde, sehr gut besucht, und es gab wieder mehrere Vorträge. Zum einen erzählte Fritz Merkle von OHB über 50 Jahre ESA, den heutigen Stand und die Zukunft der europäischen Raumfahrt. Eigentlich ging dieser Vortrag eher um OHB und dessen Rolle im europäischen Raumfahrtprogramm; so leistet OHB einen signifikanten Beitrag zum Satellitensystem Galileo, indem es alle sechs Wochen einen neuen Galileo-Satelliten fertigstellt. Diese werden mit einer modifizierten Sojus gestartet. Zweidieser Satelliten sind in einen falschen Orbit gekommen, weil Treibstoffleitungen eingefroren waren. Astrophysiker können mit diesen Satelliten die Relativitätstheorie testen. Auch wurden die drei Generationen Meteosat genannt, von denen die dritte eine andere Art Kameras hat als die ersten beiden, sowie die deutsche Beteiligung bei ExoMars. Insgesamt ist das ursprünglich geplante Budget für die Raumfahrt von 850 Millionen Euro schon überschritten worden, und es wird jetzt geschätzt, dass 1,3 Milliarden nötig sein werden. Wie die Restfinanzierung zustande kommen soll, weiß man aber noch nicht.
Für die ISS halten von europäischer Seite momentan Italien und Deutschland die Fahne hoch, die anderen Länder sind da noch etwas skeptisch. Europa hofft, dass die ISS bis 2020 erhalten bleiben kann, die USA hoffen sogar auf 2024. Die Frage, ob man mit der Ariane 5 weitermachen würde oder mit Ariane 6, hatte sich genau einen Tag vorher zugunsten der Ariane 6 entschieden. Die wirtschaftlichen Probleme treffen jetzt auch die Raumfahrt, der es die vorherigen vier Jahre eher gut ging. In Eigenregie hat OHB in Gedenken an ihren Firmengründers Manfred Fuchs die kleine Sonde 4M (Manfred Memorial Moon Mission) mit einer chinesischen Rakete zum Mond geschickt. Für die Zukunft hält er Jugendarbeit in der Raumfahrt für wichtig.
Dem Orion-Programm war der nächste Vortrag von Barbara Zelon, Kommunikationsdirektorin der NASA, und Linda Singleton, Kommunikationsdirektorin von Lockheed Martin, gewidmet. Viele neue Informationen gab es dabei nicht.
Zu den „zwei Gesichtern der Raumfahrt“ äußerte sich Prof. Dr. Robert Schmucker . Damit meinte er die zivile und die militärische Raumfahrt. Zwar waren ja die ersten Ideen der Raumfahrtgeschichte nicht militärischer Natur, sondern dienten dazu, neue Welten zu entdecken. Hermann Oberths Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ hatte drei Auflagen; das gäbe es heute für ein Fachbuch nicht mehr. Finanziert werden konnte die Forschung und Entwicklung von Raketen allerdings nur vom Staat, und der sah darin den militärischen Nutzen. Innerhalb von 10 Jahren war die A4 / V2 entwickelt, und auch nach dem 2. Weltkrieg in den USA stellte Wernher von Braun seine Mitarbeiter in der Raketenentwicklung offiziell als Militärs an. Für Kennedy, der das amerikanische Mondlandedprogramm förderte, war die Raumfahrt auch mehr Prestigeobjekt im Kalten Krieg, als dass er sich tatsächlich dafür interessierte. Auch die russischen Raumfahrtträger waren aus ursprünglich militärischen Raketen entwickelt worden.
Über die gerade zu Ende gegangene Blue Dot-Mission von Alexander Gerst berichtete DLR-Mitarbeiter Volker Schmid. Neben dem Training, den Missionsdaten und den Experimenten betonte er auch die Öffentlichkeitsarbeit, die Gerst während der Mission leistete, zum Beispiel den ARISS-Call mit Siegburg und die Liveschaltung mit seiner Heimatstadt Künzelsau.
Paolo Nespoli erzählte von Fragen aus der Öffentlichkeit nach seinen eigenen Weltraumflügen: manchmal fragen ihn Leute, wann er denn auf dem Mond gewesen sei. Das Publikum in Neubrandenburg fand er im Gegensatz dazu ziemlich fachkundig. Er erzählte von der Schwerelosigkeit und davon, dass der Umgang damit sich nicht trainieren lasse. Es gebe zwei Sorte Astronauten: die „außerirdischen“, die sich schnell daran gewöhnen, und die „irdischen“, die immer noch denken, sie seien auf der Erde. Selbst musste er sich nach der Rückkehr auf die Erde wieder umstellen auf die Schwerkraft.
Viel unbemannte Raumfahrt gab es wieder am Sonntag Vormittag. Egbert Schwarz vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum am DLR-Standort Neustrelitz erzählte vom ersten deutschen Fernerkundungssatelliten Terra-SAR X. Dieser ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen der DLR und EADS Astrium.
Mit viel Interesse erwartet wurde der hochaktuelle Vortrag von Ulrich Köhler mit neuesten Erkenntnissen über die Rosetta / Philae-Mission. Den häufig gemachten Vergleich der Landung von Philae auf dem Kometen mit den Apollo-Mondlandungen findet Köhler zwar nicht so ganz passend, doch sieht er die Kometenlandung wohl als einen Höhepunkt der nichtastronautischen Raumfahrt. Nach einigen grundlegenden Erklärungen, was denn ein Komet sei, zeigte er noch einige Fotos von Philae, die mit der hochauflösenden Weitwinkelkamera von OSIRIS aufgenommen, aber noch nicht veröffentlicht worden waren.
Die DGLR-Nachwuchsgruppe Berlin stellte anschließend ihr JETSDREAM – Programm vor. Als selbststeuernde Studentengruppe, die sich selbst um ihr Sponsoring kümmert, entwickeln und testen sie verschiedene Turbinen. Zum einen arbeiten sie an einer neuen Axialturbine KGT200, die sie später auch mit erneuerbaren Rohstoffen antreiben wollen, zum anderen versuchen sie mit CO2NCEPT (CO2 Neutral Compact Electric Power Turbine) eine CO2-neutrale Turbine zu entwickeln, die ebenfalls mit erneuerbaren Brennstoffen laufen soll.
Neueste Erkenntnisse und Entwicklungen in der chinesischen Raumfahrt wurden im abschließenden Vortrag vorgestellt von Jacqueline Myrrhe, Mit-Herausgeberin des Informationsdienstes „Go Taikonauts“ über die chinesische Raumfahrt. Sie beschrieb die Entwicklungen nach ihrem Vortrag vom vergangenen Jahr. Da China dauernd aus dem ISS-Programm ausgeschlossen war, sei es seinen eigenen Weg in der Raumfahrt gegangen. Es sei wohl zur internationalen Zusammenarbeit bereit, aber auch in der Lage, selbständig in der Raumfahrt zu arbeiten. So könne es 2020 eine eigene Raumstation haben. Den USA und Russland geht es mittlerweile finanziell nicht mehr so ganz optimal.
Das EAC (European Astronaut Centre) der ESA arbeitet mittlerweile in zwei Arbeitsgruppen mit China zusammen. Mittlerweile haben sich im Frühjahr 2014 allgemein die politischen Differenzen zwischen den USA und Russland verschärft; nur die ISS war davon ausgenommen. Russland schließt daraufhin eine Zusammenarbeit mit der ESA und mit China nicht aus, und zeichnet im Mai mit China ein Protokoll zur Einrichtung einer Kontrollgruppe für unter anderem Zusammenarbeit im Weltraum. Diese Zusammenarbeit zwischen Russland und China wird im Laufe des Jahres weiter gefestigt. Es wird sogar nicht ausgeschlossen, dass längerfristig auch chinesische Raumfahrer auf die ISS fliegen würden. Wohl hat andererseits zum IAC-Kongress 2014 in Toronto die kanadische Regierung Teilen der russischen und chinesischen Delegation die Einreisevisa verweigert.
Auch mit Indien schliesst China Kooperationsverträge. Es gestaltete sich übrigens für die Referentin während ihrer Recherchen recht schwierig, in deutschen Medien Informationen zu den Fachfragen zu erhalten, so dass sie teilweise auf RIA Novosti und Al-Jazeera zurückgreifen mußte. Im großen und ganzen faßt sie zusammen, daß China es nicht unbedingt nötig hat, für seine eigenen nationalen Raumfahrtziele mit anderen Nationen zusammenzuarbeiten. Dies im Gegensatz zu den USA und Europa. China kann aber wohl mit den Vereinten Nationen und mit Russland zusammenarbeiten, um seinen Einfluss in der weltweiten Raumfahrt zu erhöhen, und längerfristig könne sich auch eine Zusammenarbeit der USA und Europa mit China lohnen.
Natürlich hat es in Neubrandenburg nicht nur die Vorträge gegeben, auch konnte man wieder informell alte Kontakte festigen und neue knüpfen. Und es gibt nur wenige andere Veranstaltungen, bei denen die Ehrengäste so zugänglich sind und man wie selbstverständlich auch mal mit Kosmonauten am Frühstückstisch sitzen und sich mit ihnen mal kurz persönlich unterhalten kann.