Im ersten Novemberwochenende 2011 fanden in Neubrandenburg wieder die Tage der Raumfahrt statt. Organisiert wurden sie wie immer von der Initiative 2000 plus, welche auch die Raumfahrtzeitschrift Raumfahrt Concret herausgibt.
Ein Beitrag von Kirsten Müller.
Stargäste in diesem Jahr waren der deutsche Wissenschaftsastronaut Prof. Dr. Ernst Messerschmid (STS-61A / Spacelab D1), der polnische Kosmonaut Mirosław Hermaszewski (Sojus 30 / Salut 6) sowie Ed Buckbee, Presse- und Öffentlichkeitsreferent für Wernher von Braun im Marshall Space Flight Center in Huntsville / Alabama. Die Veranstaltung hatte dieses Jahr von der Teilnehmerzahl her eher einen lauschigen Charakter, dafür war die Qualität des Programmes von der Professionalität, die man von dieser Veranstaltung gewohnt ist.
Am Freitag abend fand das Essen, wie jedes Jahr, in der Hafenkneipe statt, allerdings entsprechend der Teilnehmerzahl in einem kleineren Raum als sonst. Danach war Autogrammstunde mit Hermaszewski und Buckbee. Prof. Messerschmid war noch nicht dabei, er reiste erst am Samstag Vormittag an. Untergebracht waren die Teilnehmer im Radisson Blue-Hotel in der Neubrandenburger Innenstadt. Zur Hauptveranstaltung am Samstag, in der Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums, und auch zum Mittagessen, hatten die Organisatoren einen Busfahrdienst geregelt.
Die Hauptveranstaltung im Gymnasium begann mit einer hervorragenden Darbietung des Schulchors. Den Leitvortrag hielt Ed Buckbee, der einen Einblick hinter die Kulissen der bemannten US-Raumfahrt zu Zeiten Wernher von Brauns gab. So erzählte er, der Sputnik-Start sei für die Amerikaner ein so großer Schock gewesen, weil sie die Russen eher für Bauern hielten, die von Technik keine Ahnung haben. Der Vortrag war gespickt von Anekdoten aus den Mercury-, Gemini- und Apollo-Tagen sowie über die ersten amerikanischen Astronauten. Unter anderem ging es um deren Meinung zum Thema Schimpansen, sowie ihren Frust, in der Entwicklung der Mercury-Kapseln kaum mitreden zu können. Im Gemini-Programm hatten sie viel mehr Mitspracherecht. Auch wurden einige eher unbekannte Filmausschnitte gezeigt und Anekdoten aus dem Apollo-Programm erzählt, wie zum Beispiel, dass das offizielle Raumfahrergetränk “Tang” bei den Astronauten starke Blähungen verursachte und sich zwei Apollo-Astronauten darüber bei offenen Mikrofonen, für die Bodenstation deutlich hörbar, beschwert haben. Der Start vom Mond zurück auf die Erde wurde von den Amerikanern als so gefährlich gesehen, dass der US-Präsident drei verschiedene Presseerklärungen hatte vorbereiten lassen: eine für den Fall, dass alle Astronauten heil zurückkehren, eine für den Fall, das einer zurückkehrt und zwei auf dem Mond verbleiben und eine für den Fall, dass alle drei nicht zurückkehren.
Prof. Dr. Ernst Messerschmid, Wissenschaftsastronaut auf der ersten deutschen Spacelab-Mission im Herbst 1985, erzählte – nach einer kurzen Einleitung über die Geschichte der Raumfahrt von Gagarin über Apollo bis zum Space Shuttle / ISS – von seinen eigenen Erfahrungen an Bord der Challenger. Wenn man ganz genau sein will, sei er nach Sigmund Jähn und Ulf Merbold der dritte Deutsche im Weltraum gewesen, da er beim Einschwenken des Shuttle in die Erdumlaufbahn gerade 2,5 m höher saß als sein mittlerweile verstorbener Kollege Reinhard Furrer. Er sehe das aber nicht so genau und sagt, sie seien beide gleichzeitig oben gewesen.
Hauptsächlich ging Messerschmid in seinem Vortrag auf die Nutzungsmöglichkeiten der Schwerelosigkeit für die Wissenschaft ein. So kann man im Weltraum organische Kristalle wie z.B. Enzyme und andere Proteine züchten, die tausend Mal größer sind als auf der Erde. Auch ging er auf das Phänomen “Fluid Shift” ein: bei Schwerelosigkeit verschiebt sich im menschlichen Körper die Flüssigkeit von den Beinen in die oberen Körperregionen. Außerdem findet bei längeren Weltraumaufenthalten ein Verlust an Knochensubstanz statt. Mithilfe der Raumforschung lassen sich auch gesundheitliche Phänomene, die mit Alterung einhergehen, näher erforschen. Darüber hinaus ging Messerschmid auch auf die heutigen europäischen Beiträge zur Raumfahrt ein: Columbus und ATV beim ISS-Programm, sowie Astronauten und Wissenschaftler. Insgesamt werden 30% des Raumfahrtbudgets in wissenschaftliche Forschung investiert.
Nach der Mittagspause und der traditionellen Fotosession und Autogrammstunde mit den prominenten Gästen richtete Synthie-Pop-Musiker Peter Schilling ein kurzes Grußwort an die Gäste und zeigte einen kleinen Film. In den 80er Jahren hatte er mit dem raumfahrtbezogenen Song “Major Tom” einen großen Hit gelandet. Am Samstagabend sollte er in der ausverkauften Konzertkirche in Neubrandenburg ein Konzert geben.
Den nächsten größeren Vortrag hielt Volker Schmid vom DLR in Köln zum Thema ATV. Er erwähnte, dass das ATV Nutzlasten auf die ISS transportiert als Gegenleistung dafür, dass ESA-Astronauten zusammen mit den Russen und den Amerikanern auf der ISS arbeiten dürften. Das ATV ist vollautomatisch ausgelegt und kann nicht von Hand gesteuert werden. Auf einer ILA in Berlin hatte Astrium ein Modell einer bemannten ATV-Version ausgestellt. Es gibt tatsächlich mehrere Modelle: eine Rückführkapsel mit 1 Tonne Nutzlast und eine Kapsel, die zwei bis drei Personen transportieren kann. Es hätte sich aber politisch und hinsichtlich Kooperationen als problematisch herausstellen können, diese Projekte in die Tat umzusetzen.
Der polnische Interkosmos-Kosmonaut Miroslaw Hermaszewski hielt danach einen detailreichen Vortrag über die Flüge der russischen Weltraumhunde Laika, Bjelka und Strelka sowie den Flug Juri Gagarins. Ausführlich ging er dabei auf die Konfigurationen der russischen Kapseln ein. Selbst war Hermaszewski der 89. Mensch im Weltraum.
Den Vorträgen folgte eine Podiumsdiskussion, moderiert von Gerhard Kowalski, in der die Referenten Fragen aus dem Publikum und aus der Diskussionsrunde beantworten konnten. Dabei kamen die verschiedenen Themen der Vorträge noch einmal zur Sprache. Dass das Konzert am Samstagabend von Peter Schilling in Neubrandenburg zeitgleich zu den Tagen der Raumfahrt stattfand, war eigentlich Zufall. Als Teilnehmer der Raumfahrttage konnte man dieses Konzert mit ermäßigtem Eintritt besuchen. Meiner Ansicht nach hat sich dieser Besuch gelohnt. Netterweise gab es nach dem Konzert im Hotel auch noch etwas zu essen für die Konzertbesucher.
Am Sonntagvormittag fanden ebenfalls einige interessante Vorträge statt. Walter Päffgen beschrieb das europäische satellitengestützte Navigationssystem Galileo, das für Europa der Einstieg in den Markt der globalen Satellitennavigation bedeutet. Vom Bodenkontrollzentrum Oberpfaffenhofen aus werden rund um die Uhr bis 2014 achtzehn Satelliten betrieben werden. Dies geschieht im Auftrag der EU und der ESA über das Gemeinschaftsunternehmen Space Opal GmbH. Genutzt wird es für die Navigation beim Luft-, See-, Schienen- und Straßenverkehr; außerdem in der Energiewirtschaft, der Landwirtschaft, von Banken, Rettungsdiensten und der Polizei, im Krisenmanagement und in der Erholung.
Ulrich Köhler vom Institut für Planetenforschung der DLR in Berlin-Adlershof hat zu den Neubrandenburger Raumfahrttagen schon häufiger beigetragen. Diesmal berichtete er von der Mission der Raumsonde Dawn zum Asteroiden 4 Vesta, sowie von anderen Raumsondenmissionen. Nachdem die Mission Dawn vom Asteroiden 4 Vesta genügend Aufnahmen gemacht hat, wird sie weiterfliegen zum Asteroiden Ceres. Die Asteroiden werden alle nach den Vestalinnen, Priesterinnen aus der altgriechischen Mythologie, benannt. Momentan sind in Adlershof Praktikanten dabei, die altgriechische Literatur nach Namen der Vestalinnen zu durchsuchen.
Ein regelmäßiger Besucher der Neubrandenburger Raumfahrttage ist der 16-jährige Berliner Schüler Sebastian Hadjadj, der später auch beruflich im Feld der Raumfahrt tätig sein möchte. Er hielt einen interessanten, gut recherchierten und verständlichen Vortrag über die verschiedenen Arten von Raketenantrieben. Hierbei erläuterte er die Vor- und Nachteile der verschiedenen Antriebsarten.
Letzter Vortragender der Veranstaltung war Alexander Soucek. Er ist ESA-Angestellter bei ESRIN in Rom und privat dem österreichischen Weltraumforum verbunden, das öffentliche Live-Übertragungen von Raumfahrtereignissen, wie der Cassini-Landung und auch Parabelflüge für Schüler veranstaltet. Seinen Vortrag hielt er in seiner Eigenschaft als Privatperson. Mit dem Thema „Krankenakte Bemannte Raumfahrt“ beschrieb er Visionäre der Raumfahrt und was von deren Voraussagen tatsächlich erreicht worden ist. So sagte Hermann Oberth in seinem Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ von 1923 voraus, es sei (frei zitiert) „nach dem heutigen Stand der Technik möglich, Maschinen zu bauen, die höher als die Erdatmosphäre fliegen können; bei weiterer Vervollkommnung könnten diese auch die Geschwindigkeiten erreichen, die nötig sind, dass sie nicht auf die Erde zurückfallen und sogar den Anziehungsbereich der Erde verlassen können. Diese Maschinen können so gebaut werden, dass Menschen wahrscheinlich ohne gesundheitlichen Nachteil mit emporfahren können, unter gewissen wirtschaftlichen Bedingungen könne sich der Bau solcher Maschinen lohnen – diese Bedingungen könnten in einigen Jahrzehnten eintreten“. Fast 40 Jahre später ist davon alles wahr geworden. Als Nächster wurde Jesco von Puttkamer genannt, der 1970 voraussagte, es sei möglich, in naher Zukunft Raumstationen, Reisen zu anderen Planeten und eine Station auf dem Mars zu haben. Jetzt – 2011 – hat nichts davon geklappt.
Als Gründe dafür wird die Raumfahrtbegeisterung in der Öffentlichkeit früher bei den Apollo-Missionen und bei Shuttle-Starts genannt. Im Vergleich dazu möchte man heute lieber Fotos von der Erde aus dem Weltraum sehen. Auch findet er, dass der häufig gemachte Vergleich von Gagarin mit Christoph Columbus hinkt, da Columbus mit seinem eigenen Geld ins wirklich Unbekannte vorgestoßen ist, während Gagarin seinen Vorstoß ins Unbekannte unter Überwachung durch viele Techniker und mit vielen Elektroden am Körper machte.
Bemannte Raumfahrt ist so komplex, weil der Mensch im Weltraum nicht überleben kann ohne viel Technik, deshalb tun sich politische Entscheidungsträger mit der Entscheidung über die Raumfahrt schwer. Kennedy brauchte nach dem Debakel in der Schweinebucht und dem Flug Gagarins ein Programm, um sein politisches Image wieder aufzupolieren. Seine PR-Berater rieten ihm zur bemannten Mondlandung. So kam es zum Apollo-Programm mit dem Ziel, noch vor 1970 einen Menschen auf den Mond und wieder zurück zur Erde zu bringen. Als er mitten im Programm ermordet wurde, führte man es weiter als sein Vermächtnis.
Auch sammelte Soucek bei einem Experiment mit dem Publikum Geld ein: „angenommen, Sie sind politischer Entscheidungsträger und möchten mir helfen, eine kleine Apollo-Kapsel für 150 Euro zu finanzieren?“ Nachdem von den 47 Anwesenden 140 Euro zusammengekommen waren, konfrontierte er die Zuhörer mit einem Bild aus der Kinderkrebsstation und der Frage: „Wofür soll man dieses Geld jetzt einsetzen?“ Betretenes Schweigen folgte. Schließlich gab er an, dass das Weltraumforum für dieses Geld Weltraumspielzeug für eine Kinderkrebsstation stiften würde.
Am Rande bot die Veranstaltung auch Verkaufsstände, an denen man sich Raumfahrtartikel kaufen konnte. Was mir aber am besten zugesagt hat, war die Tatsache, dass auch prominente Gäste ziemlich direkt zugänglich waren, sei es bei den Veranstaltungspausen oder auch abends im Hotel nach dem Essen, an der Bar oder beim Frühstück. Themenbereiche im kommenden Jahr 2012 werden die bemannte Raumfahrt der 80er Jahre, Erdbeobachtung, Zukunftsprojekte und die Nachwuchsförderung sein. Teilnehmen lohnt sich auf jeden Fall!