Anläßlich der laufenden Mars-Mission 2001 Mars Odyssey hat die NASA in einem ausführlichen Artikel die vielfältigen Risiken solcher Projekte dargestellt.
Autor: Michael Stein
So wurden für Mars Odyssey beispielsweise über 220.000 (!) so genannte „Mission-Critical Parameters“ definiert, von denen der Erfolg der gesamten Mission abhängt – schon das übermäßige Abweichen nur eines dieser Parameter vom Soll-Wert kann fatale Auswirkungen haben.
Nachfolgend lesen Sie eine leicht gekürzte Übersetzung des Artikels, der im Original auf der Mars Odyssey-Internetsite verfügbar ist.
Riskantes Geschäft: Eine Mission zum Mars
Stellen Sie sich vor, Sie planen einen längeren Segeltörn. Ihr Überleben hängt von der Robustheit Ihres Bootes, Ihrer Planung und Ihren Fähigkeiten ab. Alle für die Reise benötigten Lebensmittel, Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände müssen an Bord untergebracht werden. Von Ihrem Wissen und Ihren Entscheidungen über die Navigation des Bootes durch Wind und Wellen wird es abhängen, ob Sie immer „eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“ haben werden.
Sie haben aus den Fehlern und Erfolgen Ihrer früheren Reisen gelernt. Natürlich werden Sie dieselben Fehler nicht noch einmal machen, aber Sie wissen, dass Sie neuen Herausforderungen begegnen können. Wenn etwas an Bord kaputt gehen sollte, werden Sie eine Lösung dafür finden müssen. Unter der Wasseroberfläche kann etwas Unerwartetes lauern. Im Innern Ihres Bootes kann es Schwachstellen geben, die sich erst während der Reise bemerkbar machen – und an denen Sie vielleicht letztendlich scheitern werden. Vorsichtig und wachsam erwarten Sie das Beste und sind doch gleichzeitig auf das Schlimmste vorbereitet.
In gewisser Weise, sagen Raumfahrtingenieure, ist die Arbeit an einer Mars-Mission damit vergleichbar.
Ein Diplom von der „Schule für Nackenschläge“
Bisher sind dreißig Missionen zum Mars von den Raumfahrtagenturen der USA, Japans und der früheren Sowjetunion auf den Weg gebracht worden. Von den fünfzehn US-Missionen sind zehn erfolgreich gewesen, während nur eine der sechzehn sowjetischen Missionen Erfolg hatte. Die Ankunft der einzigen japanischen Sonde beim Mars hat sich aufgrund eines Triebwerkproblems verzögert und wird nun für 2004 erwartet.
Charles Whetsel, mittlerweile Chefingenieur des NASA-Marsforschungsprogramms, weist auf die aufschlussreichste „Lehrstunde“ seiner Ingenieurkarriere hin. Nach Abschluss seines Studiums war er damals zwei Jahre in seinem ersten Job beschäftigt. Am 21. August 1993 tauchte er wie immer am Samstagabend um 18:00 Uhr zum Schichtwechsel an der System-Konsole der Mars Observer-Mission auf. Nur die Raumsonde tat dies nicht. Sie verschwand, als der Druck in ihren Treibstofftanks erhöht wurde, um das Bremsmanöver zum Eintritt in die Marsumlaufbahn vorzubereiten. Eine Untersuchung hat später festgestellt, das erwärmter Treibstoff an einer Stelle der Treibstoffleitungen kondensiert war, die zu nah an dem flüssigen Sauerstoff vorbeiführte. Der kondensierte Treibstoff führte schließlich zu einer Explosion an Bord der Raumsonde.
„Ich hatte nie auch nur daran gedacht, dass ich morgen zur Arbeit kommen könnte und alles, worin ich die letzten zwei Jahre investiert hatte, in einem Augenblick verschwindet“, sagt der heute 34-jährige Whetsel. „Das war mein großes Erwachen. Ich konnte es nicht glauben. Die Welt ändert sich über Nacht.“
„Es berührt dich auf einer persönlichen Ebene genauso wie jeden, mit dem du zusammenarbeitest. Es ist vergleichbar damit das man feststellt, die eigene Firma ist pleite. Aber es ist noch persönlicher als so etwas. Der ganze Prozess des Verlierens [der Raumsonde], dann die Versuche, sie Zurückzugewinnen, dann das Durchgehen der möglichen Fehlerursachen um zu verstehen, was passiert ist. Wir haben alle mit der externen Kommission zur Ermittlung der Fehlerursache zusammengearbeitet, weil wir verstehen wollten, was passiert war.“ Als Absolventen der „Schule für Nackenschläge“, wie Whetsel es formuliert, wurden er und seine Kollegen, Veteranen einer gescheiterten Mission und der ingenieurmäßigen Detektivarbeit, die dann folgte, umso wertvollere Mitarbeiter für das Raumforschungsprogramm des Jet Propulsion Laboratory (JPL).
Der frühere sowjetische Raumfahrtingenieur V.G. Perminov, Leiter des sowjetischen Mars-Raumsondenprogramms, schrieb ein Buch mit dem Titel „Der schwierige Weg zum Mars“, in dem er die Liste der Misserfolge seines Landes nacherzählt. Er zitiert ein russisches Sprichwort, um die Bedeutung der aus Fehlschlägen gewonnenen Erkenntnisse zu erläutern: „Ein gescheiterter Mensch ist soviel Wert wie zwei nie gescheiterte.“
Whetsel stimmt dem zu. Mit der großen Erfahrung aus seiner Mitarbeit an früheren Missionen beaufsichtigt er nun die Entwicklungsarbeiten aller Mars-Missionen. „Wenn man eine [Mission] verloren hat, sieht man die Dinge anders. Man fordert ein wenig mehr, man macht sich etwas mehr Sorgen.“
Mars: So nah und doch so fern
Aber warum sind so viele Mars-Missionen hinter den Erwartungen zurückgeblieben? Gibt es irgendetwas Besonderes am Mars, was Raumsonden und die sie leitenden Teams anzieht wie Motten ins Feuer? Die Antwort hat zum Teil mit der bloßen Anzahl von Versuchen zu tun, den Mars von der Erde aus zu erreichen. „Wie haben mehr Raumfahrzeuge zum Mars als zu irgendeinen anderen Himmelskörper mit Ausnahme des Mondes geschickt, also hatten wir auch mehr Gelegenheiten zu scheitern“, sagt Whetsel.
Dazu kommt, so Whetsel, das viele Menschen den Mars fälschlicherweise für ein leicht zu erreichendes Ziel halten, weil er der Erde relativ nahe ist und viele erdähnliche Eigenschaften aufweist. Aber alleine die Tatsache, dass er der Erde näher ist als Jupiter oder Saturn, macht den Mars nicht notwendigerweise zu einem leichter zu erreichenden Ziel.
Gelernte Lektionen: Der Silberstreif am Horizont
Eine Mischung aus Aufregung und einer Prise Zittern baut sich beim JPL auf, von wo aus die NASA-Raumsonde 2001 Mars Odyssey am 24. Oktober 2001 in einen Orbit um den Mars gesteuert werden wird. Zu dieser Zeit wird das Raumfahrzeug etwa 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sein. Die Sonde wird dann an einem der kritischsten Punkte ihrer Mission angelangt sein.
Es ist das erste Raumfahrzeug, das nach dem doppelten Verlust von Mars Surveyer-Lander und -Orbiter im Jahr 1999 zum Mars geschickt wird. Während das Odyssey-Team sich auf das „Mars Orbit Insertion“-Manöver vorbereitet, sind die letzten, auf schmerzhafte Weise gelernten Lektionen den Raumfahrtingenieuren noch gut in Erinnerung. Diese Erfahrungen werden von vielen Mitarbeitern beim JPL und dem Odyssey-Hersteller Lockheed Martin Astronautics aber auch als Silberstreif am Horizont wahrgenommen, mit dem eine schwere Zeit für das JPL und speziell die Marsforschung endete.
Damit die Raumsonde den Mars-Orbit erreichen kann, müssen tausende von Details fehlerfrei funktionieren. Schon ein einziges, nicht wie geplant funktionierendes Detail kann eine Ereigniskette in Gang setzen, die einen erfolgreichen Eintritt in den Orbit für Mars Odyssey verhindert.
Nicht, dass die Öffentlichkeit etwas anderes als eine erfolgreiche Mission erwarten sollte, so Mars Odyssey-Projektmanager Matt Landano vom JPL: „Sie sollte einen Erfolg erwarten. Wir unternehmen alles, was wir können, um das Risiko zu reduzieren und unsere Erfolgsaussichten zu maximieren. Natürlich denken wir nicht so, dass irgendein Fehlschlag akzeptabel ist. Für uns ist es nicht okay, zu scheitern. Wir müssen erfolgreich sein.“
„Mars Orbit Insertion“: Die hohe Kunst der Raketenwissenschaft
Den sorgfältig berechneten Parametern von Navigationsmannschaft und Kontrollpersonal am Boden folgend wird 2001 Mars Odyssey mit einem letzten Kurskorrektur-Manöver sieben Stunden vor Eintritt in die Marsumlaufbahn die Flugbahn noch einmal geringfügig anpassen, was durch kurzzeitige Zündung der kleinen Steuerdüsen an Bord der Raumsonde erreicht wird.
Um den Marsorbit zu erreichen müssen zuerst Odysseys Treibstofftanks mit dem Umfang großer Strandbälle unter Druck gesetzt, Treibstoffleitungen vorgewärmt und das gesamte Antriebssystem scharf gemacht werden, bevor 262,8 Kilogramm Treibstoff in 19,7 Minuten in die vorgesehene Richtung verbrennen. Dieses Manöver wird die Geschwindigkeit des Raumfahrzeugs abbremsen und seine Flugbahn in eine eiförmige Ellipse um den Planeten verändern. In den dann folgenden Wochen und Monaten wird die Raumsonde während des sogenannten „Aerobrakings“ immer wieder die oberen Schichten der Marsatmosphäre durchfliegen, um den 19-stündigen elliptischen Orbit zu einem zweistündigen kreisförmigen Orbit von rund 400 Kilometer Höhe zu reduzieren, der für die wissenschaftliche Datenerhebung erreicht werden soll.
„All dies muss vom Raumfahrzeug autonom veranlasst werden“, so Whetsel. Während des Brennvorgangs des Odyssey-Haupttriebwerks beispielsweise „ist für das Bodenkontrollpersonal keine Zeit vorhanden, um mit der Raumsonde in Kontakt zu treten.“ Ein Signal braucht für die Reise von den Antennen des Deep Space Network der NASA auf der Erde bis zur Position von Mars Odyssey zum Zeitpunkt des Eintritts in den Marsorbit ungefähr 8,5 Minuten. „Wenn man mitbekommt, ob alles funktioniert, ist in Wirklichkeit beinahe schon alles vorbei. Also muss man alle Vorkehrungen [für dieses Manöver] vorher an Bord der Raumsonde treffen.“