Wie entstehen die Kristalle der Kometen

Wie gelangen eigentlich die kleinen kristallinen Silikate in das Innere eines Kometen? Und wie entstehen sie eigentlich überhaupt genau? Diese Fragen haben sich Wissenschaftler bereits seit Jahrzehnten gestellt. Eventuell hat man jetzt eine Antwort gefunden.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: MPIA, Spitzer, Nature.

NASA, JPL-Caltech, University of Washington
Eines der gesammelten Kometenpartikel. Es besteht aus Forsterit und ist etwa zwei Mikrometer groß.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, University of Washington)

Am 2. Januar 2004 passierte die NASA-Raumsonde Stardust den Kometen Wild 2 in einer Entfernung von 238 Kilometern. Dabei wurden Kometenstaubpartikel eingesammelt, welche mit einer Rückkehrkapsel am 15. Januar 2006 zur Erde gelangten. Nach dem Transport zum Johnson Space Center ergab eine erste, noch oberflächliche Sichtung, dass die Mission erfolgreich war. Bereits mit dem bloßen Auge konnten die Wissenschaftler 45 Staubpartikel sichten. Insgesamt fanden sich bei der anschließenden genaueren Untersuchung mehrere Tausend Partikel, deren Analyse letztendlich eine ältere Vermutung bestätigt hat. Untersuchungen von Kometen und Meteoriten haben bereits in den 1980ern ergeben, dass diese Objekte einen auffallend hohen Anteil an kristallinem Silikat aufweisen. Besonders hoch erschien dabei der Anteil an magnesiumhaltigen Forsterit, einem Mineral der Olivingruppe, welches auch in den aktuellen Materieproben von Wild 2 nachgewiesen werden konnte.

Damit stellte sich allerdings auch erneut die Frage, wie diese speziellen Silikate ihren Weg in das Innere von Kometen finden konnten. Zu ihrer Bildung benötigen kristalline Silikate eine extrem heiße Umgebung mit Temperaturen von mindestens 1.000 Grad Celsius. Kometen dagegen, so die gängige Theorie, bildeten sich in der Entstehungsphase unseres Sonnensystems in dessen kalten Außenbereichen. Das kristalline Silikat musste also in den inneren Regionen der protoplanetaren Scheibe erzeugt und anschließend innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes in deren äußere Bereiche transportiert worden sein. Wie genau entsteht dieses kristalline Silikat und wie gelangt es in die äußeren Bereiche einer protoplanetaren Scheibe? Die hierbei ablaufenden Prozesse haben jetzt Wissenschaftler aus Ungarn, Deutschland und den Niederlanden unter der Leitung von Péter Ábrahám vom Konkoly-Observatorium in Budapest mit Hilfe von Infrarotaufnahmen des Weltraumteleskops SPITZER entschlüsselt.

NASA, JPL-Caltech
Eine protoplanetare Scheibe umkreist einen jungen Stern. Durch gravitative Instabilitäten stürzt Material aus der Scheibe auf den Stern.
(Bild: NASA, JPL-Caltech)

Das Beobachtungsobjekt hierfür war der Stern EX Lupi im Sternbild Wolf. Bei diesem Objekt handelt es sich um einen sehr jungen Stern, welcher unserer Sonne in ihrer jungen Phase vor über viereinhalb Milliarden Jahren sehr ähnelt. Gleichzeitig ist EX Lupi der Prototyp einer bestimmten Art von veränderlichen Sternen, den sogenannten EXors. EX Lupi weist zwei Merkmale auf, welche für viele noch sehr junge Sterne typisch sind. Zum einen ist er von einer sogenannten “protoplanetaren Scheibe” umgeben. Dabei handelt es sich um eine Scheibe aus Staub und Gas, aus der sich nach dem heutigen Kenntnisstand der Wissenschaft in der Zukunft ein Planetensystem bilden wird.

Zum anderen zeigt der Stern etwa alle vier bis fünf Jahre einen über mehrere Monate anhaltenden starken Helligkeitsausbruch, der in einen Anstieg der Leuchtkraft um das fünf- bis Zehnfache gipfelt. Besonders heftige Ausbrüche können sogar den Faktor 100 erreichen. Der Grund für diese Ausbrüche liegt darin, dass die protoplanetare Scheibe infolge gravitativer Einflüsse in bestimmten zeitlichen Abständen instabil wird und dadurch größere Materialmengen auf den Stern stürzen.

NASA, JPL-Caltech
Der dadurch ausgelöste Helligkeitsausbruch führt zu einer Aufheizung der inneren Schichten der protoplanetaren Scheibe.
(Bild: NASA, JPL-Caltech)

SPITZER hatte bereits im Jahr 2005 während einer ruhigen Phase Infrarotaufnahmen von EX Lupi angefertigt. In den dabei gewonnenen Spektraldaten konnten keinerlei Anzeichen für die Existenz kristalliner Silikate entdeckt werden. Im April 2008 wurde der Stern erneut abgebildet, diesmal allerdings nur mehrere Monate nach dem Höhepunkt einer seiner Helligkeitsausbrüche. Das hierbei angefertigte neue Spektrum unterschied sich deutlich vom vorherigen. Zusätzlich zu den bereits zuvor registrierten amorphen Silikaten konnte man auch kristalline Silikate, unter anderem in Form von Forsterit, nachweisen.

Attila Juhász vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, einer der beteiligten Wissenschaftler, sagt dazu: “Wir sind vermutlich erstmals Zeugen des Kristallisationsprozesses geworden. Offenbar entstehen die Kristalle durch Aufheizen und Ausglühen der Silikatteilchen nahe der Oberfläche der inneren, dicken Staub- und Gasscheibe während der Helligkeitsausbrüche von EX Lupi. Beim Ausglühen wird das Material auf eine Temperatur erhitzt, bei der seine chemischen Bindungen aufgebrochen werden und neue, andersartige entstehen. Dadurch verändern sich auch die physikalischen Eigenschaften der Teilchen.”

Hiermit ergibt sich ein neuer Ansatz für das Verständnis der Entstehung der Kometenkristalle. Unmittelbar nach ihrer Bildung prägen die Kristalle dem beobachteten Spektrum ihr charakteristisches Merkmal auf. Sie befinden sich dabei noch an der Oberfläche der protoplanetaren Scheibe. Im Laufe der Zeit vermischen die Kristalle sich mit dem weiter innen liegenden Material und reichern es auf diese Weise bei jedem weiteren Ausbruch des Zentralsterns etwas mehr mit kristallinen Silikaten an. Solange das System noch relativ jung ist, sind die kristallinen Silikate nur während der Ausbrüche detektierbar, da sie sich lediglich an der Oberfläche der beobachteten protoplanetaren Scheibe konzentriert haben.

NASA, JPL-Caltech
Die amorphen Staubteilchen werden aufgeheizt, kühlen anschließend ab und nehmen dabei die kristalline Struktur von Forsterit an.
(Bild: NASA, JPL-Caltech)

Bis zur Auswertung der neuesten Beobachtungen von EX Lupi hat man zwei Möglichkeiten zur Entstehung der kristallinen Silikate in Betracht gezogen. Zum einen könnte das Material im inneren Bereich der protoplanetaren Scheibe durch die Strahlungsabgabe des noch sehr jungen Sterns über einen längeren Zeitraum hinweg erhitzt worden sein. Dies allerdings steht jetzt durch die neuen Daten im Widerspruch zu der Tatsache, dass die zum Zeitpunkt der Inaktivität von EX Lupi durch SPITZER aufgenommenen Spektren keinerlei Anzeichen für kristalline Silikate aufweisen.

Die zweite Möglichkeit wäre, dass ein sich gerade innerhalb der Scheibe bildender Planet eine Schockwelle auslöst, welche kurzzeitig eine erhöhte Menge an Energie auf die Staubteilchen überträgt. Durch diese Energiezufuhr könnte sich dann die zur Kristallisation erforderliche Hitze entwickeln. Allerdings wäre zu erwarten, dass die dabei entstandenen Temperaturen sehr schnell wieder auf “Normalwerte” absinken. Auch diese zweite Variante scheidet mittlerweile jedoch aus, da die Temperatur der beobachteten Kristalle zum Zeitpunkt von mehreren Monaten nach dem Maximum des Ausbruches immer noch wesentlich höher war als die Temperatur der Scheibe während des Ruhezustandes von EX Lupi.

Die Beobachtungen des Teams von Péter Ábrahám lassen sich somit mit keinem dieser beiden Szenarien vereinbaren. Dieser sagt dazu: “Wir kamen deshalb zu dem Ergebnis, dass ein dritter, bisher noch nicht in Betracht gezogener Prozess die Kristallisation durch Ausglühen bewirkt – nämlich die Aufheizung der amorphen Silikate durch den Helligkeitsausbruch des Zentralsterns. Während der aktiven, durch zahlreiche Ausbrüche gekennzeichneten Phase der jungen Sterne reichern sich die kristallinen Silikate in deren zirkumstellarer Scheibe an und gehen dann in die sich bildenden Kometenkerne ein.”

Michael Werner, Projekt-Wissenschaftler am Jet Propulsion Laboratory (JPL), äußert sich dazu folgendermaßen: “Diese Beobachtungen zeigen zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit der Entstehung kristalliner Silikate auf, wie sie in Kometen und Meteoriten innerhalb unseres eigenen Sonnensystems aufgefunden wurden.”

NASA, JPL-Caltech, University of Washington
Die kristallinen Silikate “surfen” auf der Oberfläche der protoplanetaren Scheibe nach außen und gelangen im äußeren, kühleren Bereich in deren Inneres.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, University of Washington)

Die Entstehung der kristallinen Silikate scheint somit geklärt. Aber wie gelangen diese aus der unmittelbaren Umgebung des im Zentum eines gerade entstehenden Sonnensystems befindlichen Sterns in dessen äußere Bezirke? Dazu wurden bereits in der Vergangenheit mehrere Prozesse in Erwägung gezogen, zum Beispiel eine Vermischung der jetzt kristallinisierten Staubkörner in der Mittelebene der protoplanetaren Scheibe. Eine weitere Theorie bringt das sogenannte “X-Wind-Modell” ins Spiel. Hierbei sollen die Staubkörner von der Scheibenebene durch die Fliehkraft weggeschleudert und in die äußeren Bereiche der Scheibe getragen werden. Mit beiden Theorien lassen sich allerdings die erforderlichen Transportraten nicht vollständig erklären.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Nature” stellt jedoch Dejan Vinković von der Universität Split eine neue Studie vor. Von ihm durchgeführte Simulationsberechnungen deuten einen wesentlichen Beitrag der protoplanetaren Scheiben zum Strahlungsdruck an, welcher auf die Staubkörner einwirkt. Bis vor den Zeitpunkt der Erstellung dieser Untersuchung wurde alleine der Einfluss des Zentralsternes selbst berücksichtigt. Dieser allerdings wirkt dabei lediglich in radiale Richtung. Der Stern wäre hiermit also der alleinige Ausgangspunkt für den entstehenden Strahlungsdruck und die Staubkörner würden direkt in die protoplanetare Scheibe hinein befördert. Die Berechnungen Vinkovićs ergeben jedoch, dass die entstehende Infrarotemission der protoplanetaren Scheibe dem entgegen wirkt. Die Staubpartikel würden demzufolge der Oberfläche der Scheibe folgend nach außen strömen. Erst nachdem sie deren äußeren Bereich erreichen, gelangen sie in das Innere der protoplanetaren Scheibe und gehen dort in die Bildung der Kometenkerne ein. Der Grund hierfür ist, dass in den äußeren Bereichen der protoplanetaren Scheibe mit sinkenden Temperaturen auch die Infrarotemissionen abnehmen.

Allerdings trifft dieses Modell nur für solche Teilchen zu, welche über eine Größe von mindestens einem Mikrometer verfügen. Nur diese können so viel Energie von der protoplanetaren Scheibe aufnehmen, um anschließend in Richtung auf den äußeren Rand beschleunigt zu werden. Somit verbleibt letztendlich immer noch die Möglichkeit, dass die kleineren Teilchen, welche für die Bildung von Kometen allerdings zwingend erforderlich sind, durch die weiter oben erwähnte “Vermischung” oder durch die sogenannten “X-Winde” schneller nach außen befördert werden als die größeren Exemplare.

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