Eine Sekunde Abweichung in 30 Millionen Jahren. Eine Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Quelle: DLR 23. Juli 2024.
23. Juli 2024 – Die neue Laseruhr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat einen Spitzenwert an Genauigkeit für optische Uhren mit Gaszellen erzielt. In 30 Millionen Jahren würde sie nur eine Sekunde falsch gehen. Die Quanteneigenschaften von Jodmolekülen geben den Takt der Laseruhr vor.
Weltraumtaugliche Laseruhren sollen künftig zu einer zentimetergenauen Satellitennavigation beitragen sowie einen globalen Zeitstandard liefern. Sie versprechen neue Wege für einen leistungsstärkeren Datentransfer in der weltweiten Kommunikation, der vernetzten Mobilität, beim autonomen Fahren bis hin zu Handel und Logistik.
Aktuell entwickelt und baut das DLR im Projekt COMPASSO eine weltraumtaugliche Laseruhr. Ab 2027 wird diese auf der Internationalen Raumstation (ISS) für den Einsatz optischer Uhren auf Satelliten erprobt.
Zeit ist nicht gleich Zeit
Auf die Frage, was ist Zeit, sagte Albert Einstein einmal: „Zeit ist, was man an der Uhr abliest.“ Es kommt auf die Genauigkeit der Uhr an. Wie gut Satellitennavigation, Internet, Erdbeobachtung oder Finanzwesen funktionieren, hängt auch davon ab, wie exakt die notwendigen Zeitangaben bei der Datenübertragung sind. Satellitenuhren liefern Zeitsignale, mit denen sich beispielsweise Positionen auf der Erde bestimmen lassen oder Kommunikationsnetze synchronisiert werden.
Weltraumtaugliche Laseruhren können künftig genauere Zeitinformationen liefern, um Satellitendienste für Kommunikation und Navigation effizienter und präziser zu machen. Laseroptische Uhren sind aufgrund ihrer höheren Taktfrequenz rund hundertmal genauer als aktuelle Satellitenuhren auf Mikrowellenbasis.
Laseruhr erzielt Spitzenwert
Mit seiner führenden Expertise für Quantentechnologien in der Raumfahrt hat das DLR im Projekt COMPASSO die hochpräzise Laseruhr entwickelt. „Sie weicht weniger als 100 Pikosekunden pro Tag von der sogenannten Weltzeit ab. Eine Pikosekunde ist der Millionste Teil einer Millionstel Sekunde. Diese Abweichung entspricht einer Sekunde auf 30 Millionen Jahre“, erklärt Prof. Claus Braxmaier vom DLR-Institut für Quantentechnologien in Ulm. „Wir schließen damit die Lücke zwischen der Genauigkeit von konventionellen Satellitenuhren und den großen, schweren High-End-Atomuhren, die in nationalen Metrologie-Instituten unsere Weltzeit festlegen.“
Den Takt der Laseruhr gibt die Quantenphysik vor. Dazu wird die Wellenlänge eines Lasers auf eine bestimmte Schwingung von Jodmolekülen in einer Gaszelle abgestimmt. Der Takt dieser Schwingung hängt nur von den quantenmechanischen Eigenschaften des Jods ab. Mit dieser geräteunabhängigen Referenz lässt sich die hohe Genauigkeit der optischen Uhr erreichen.
Im Uhrenlabor des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation haben die DLR-Forscherinnen und -Forscher die Laseruhr bis zur aktuellen Genauigkeit weiterentwickelt und mit einer anderen Präzisionsuhr verglichen, einem sogenannten Wasserstoff-Maser. Dies ist eine Art Laser im Mikrowellenbereich. „Durch Überlagern der Zeitsignale beider Uhren können wir wie mit einer Stoppuhr die einzelnen Takte der Laseruhr zählen. Diese folgen mit einer Frequenz von 10 Megahertz aufeinander, das sind 10 Millionen Takte pro Sekunde“, erläutert Claus Braxmaier. „So konnten wir sowohl die Ganggenauigkeit als auch die Präzision unserer Laseruhr bestimmen. Je präziser eine Uhr ist, desto gleichmäßiger ist ihr Takt. Die Ganggenauigkeit gibt an, wie weit ihr Takt nach einer bestimmten Zeit vom Sollwert abweicht.“
Laseruhren für globale Genauigkeit
Ziel des COMPASSO-Projekts ist, optische Schlüsseltechnologien für die künftige Satellitennavigation zu entwickeln. „Unsere Vision ist, die hohe Genauigkeit von Laseruhren für eine global verfügbare Zeitangabe zu nutzen. Damit ließe sich ein weltweit einheitlicher, präziser Zeitstandard realisieren“, sagt Claus Braxmaier.
„Neue Generationen hochpräziser, weltraumtauglicher Laseruhren werden die Leistung von satellitengestützten Technologien erheblich verbessern“, erklärt Dr. Stefan Schlüter vom Galileo Kompetenzzentrum des DLR. „Wichtige Bereiche sind beispielsweise das autonome Fahren, die Telekommunikation sowie der Katastrophenschutz und der Finanzsektor.“ Die Genauigkeit und die höhere Taktfrequenz laseroptischer Uhren soll zudem leistungsfähigere Kommunikationsnetzwerke mit höheren Datenraten ermöglichen.
Auf dem Weg zur ISS
Am DLR-Institut für Quantentechnologien entsteht aktuell eine weltraumtaugliche Version der Laseruhr, die 2027 zur Internationalen Raumstation (ISS) starten soll. Für den Einsatz im All muss die Uhr besonders leicht, kompakt, robust und gleichzeitig zuverlässig sein. Im realen Betrieb müssen Satellitenuhren mindestens 15 Jahre autonom und störungsfrei laufen.
„Wir wollen ein Flugmodell unserer Laseruhr auf der europäischen Bartolomeo-Plattform der ISS erproben. In diesem Außenlabor ist die Uhr typischen Weltraumbedingungen ausgesetzt. Sie muss im Vakuum sowohl bei direkter Sonneneinstrahlung sowie im Schatten der Erde im tiefkalten Weltraum ohne direkten Zugriff einwandfrei funktionieren“, erläutert Claus Braxmaier. „Herausfordernd ist dabei, die Dampfzelle mit dem Jodgas konstant auf 20 Grad Celsius zu halten – egal, ob sie gerade in der Sonne oder im Schatten ist. Die gleichbleibende Temperatur ist wichtig für die hohe Genauigkeit der Uhr. Wir wollen damit zeigen, dass sich unsere Laseruhr für die nächsten Generationen des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo eignet.“
Noch sind die Komponenten der Laseruhr auf einem Labortisch aufgebaut. Im nächsten Schritt muss das Forschungsteam die Uhr möglichst kompakt zusammenbauen, damit alles auf die Größe von zwei Schuhkartons passt. Das Lasersystem enthält besonders temperaturstabile und alterungsbeständige Materialien, wie Zerodurglas. Ein hochstabiler Leichtbau garantiert, dass die Uhr die beim Raketenstart auftretenden Vibrationen und Kräfte aushält. Im Weltraum darf sich nichts verziehen, damit die Wellenlänge des Lasers für ein präzises Zeitsignal konstant bleibt. „Die Komponenten der Laseruhr haben bereits mehrere Belastungsproben erfolgreich bestanden, beispielsweise auf Höhenforschungsraketen oder im Fallturm“, sagt Dr. Thilo Schuldt vom DLR-Institut für Quantentechnologien.
Mini-Laseruhren eröffnen neue Anwendungen
Die Uhrentechnologie mit Gaszellen als Taktgeber hat noch einen weiteren Vorteil: Sie lässt sich weiter verkleinern. Laseruhren von der Größe eines Smartphones mit einer solchen Genauigkeit eröffnen völlig neue Anwendungen und wirtschaftliche Perspektiven.
Beispielsweise ließen sich mit Mini-Laseruhren ausgestattete Fahrzeuge im Straßenverkehr oder Lieferdrohnen in Städten mit einem gemeinsamen Navigationsmanagement vernetzen. Mit solchen Informationen über Verkehrsströme ließen sich Effizienz und Sicherheit erhöhen. „In Kombination mit Beschleunigungssensoren wäre mit bordeigenen Laseruhren zudem ein schlechter oder unterbrochener Satellitenempfang leicht zu überbrücken. Die hohe Signalstabilität der Uhr schafft die Grundlage, auch unter schwierigen Navigationsbedingungen exakte Positionsdaten zu berechnen, etwa zwischen Häuserzeilen oder in Tunneln“, erklärt Dr. Stefan Schlüter.
Wie tickt eine Laseruhr?
So wie das Pendel in einer Standuhr den Takt vorgibt, liefert ein sogenannter jodstabilisierter Laser den Takt der COMPASSO-Uhr. Dazu befindet sich im Laserstrahl eine rund 20 Zentimeter lange Gaszelle mit Jodmolekülen, die als natürliche Zeitreferenz dienen. Die Wellenlänge des grünen Laserlichts wird auf eine bestimmte Schwingung der Atomkerne der Jodmoleküle geregelt. Die Frequenz dieser Schwingung ist durch die quantenmechanischen Eigenschaften des Jods vorgegeben. Dadurch ist die Zeitreferenz geräteunabhängig, woraus sich die hohe Genauigkeit der Laseruhr ergibt.
Um ein standardisiertes Zeitsignal zu erzeugen, wird das grüne Licht des jodstabilisierten Lasers mit den Laserpulsen eines sogenannten Frequenzkammlasers überlagert. Dessen Spektrum umfasst bis zu einer Million Farben. Die zugehörigen Lichtfrequenzen liegen wie die Zinken eines Kamms in exakt gleichen Abständen beieinander, vergleichbar einem Lineal. Wie beim Stimmen eines Musikinstruments mit einer Stimmgabel wird durch Messen der Intensität der beiden überlagerten Laserstrahlen ein standardisiertes Taktsignal erzeugt. Dieses liegt im Bereich der Radiofrequenzen bei 10 Megahertz.
Über das Projekt COMPASSO
Im Projekt COMPASSO erprobt und qualifiziert das DLR neuartige laseroptische Technologien für den Einsatz im Weltraum. Das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation in Oberpfaffenhofen und das DLR-Institut für Quantentechnologien in Ulm entwickeln gemeinsam mit der Raumfahrtindustrie leistungsfähige und resiliente Lasersysteme für die Satellitennavigation sowie für wissenschaftliche Missionen. Der Projektname COMPASSO ist an ein Recheninstrument des italienischen Gelehrten, Astronomen und Mathematikers Galileo Galilei (1564 bis 1642) angelehnt.
An der Entwicklung der COMPASSO-Laseruhr sind das DLR-Institut für Quantentechnologien, das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation, das DLR-Institut für Optische Sensorsysteme und das DLR-Institut für Raumfahrtsysteme beteiligt. Das DLR Galileo Kompetenzzentrum leitet das Projekt in enger Kooperation mit dem DLR-Institut für Softwaretechnologie sowie dem DLR-Raumflugbetrieb und Astronautentraining. Projektbeteiligte aus der Industrie und Forschung sind Tesat-Spacecom, Menlo Systems, Airbus Defence and Space, SpaceTech Immenstaad, das Institute of Scientific Instruments der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und das Ferdinand-Braun-Institut.
Das Galileo Kompetenzzentrum des DLR
Das Ziel des Galileo Kompetenzzentrums ist, die Zukunft der Satellitennavigation aktiv voranzubringen, mitzugestalten und zu erweitern. Es bündelt seit 2019 Ergebnisse von Forschungsaktivitäten aus den DLR-Instituten, um zukunftsfähige Konzepte und Technologien für die Satellitennavigation umzusetzen und zu demonstrieren.
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